Midyat. Der Bürgermeister der Stadt Midyat im Südosten der Türkei hat das Stadtwappen ändern und dabei das Symbol der Êzîden entfernen lassen. Veysel Shahin, Mitglied der Erdogan AKP-Partei, wurde im März 2019 neuer Bürgermeister der Stadt in der Provinz Mardin. Midyat gilt als multireligiöse und multiethnische Stadt und zieht unter anderen mit seiner alten Architektur jährlich hunderttausende Touristen an.
Am Freitag dann beschloss der Stadtrat von Midyat den Wechsel des Stadtwappens – auch mit Stimmen der pro-kurdischen HDP. Funktionäre der HDP entschuldigte sich noch am selben Tag für die Entfernung des êzîdîschen Symbols und erklärte, die AKP habe den Stadtrat getäuscht.
Auf dem alten Stadtwappen von Midyat war neben einer Moschee mit Minarett auch ein Kirchturm für die Christen der Region sowie ein Pfau für die Êzîden zu sehen. Das neue Wappen hingegen zeigt keinen Pfau mehr. Der Pfau gilt den Êzîden als heilig und symbolisiert ihre Religion.
Die AKP verfolgt seit Jahren in der einstigen êzîdîschen Hochburg Midyat einen strikten anti-êzîdîschen Kurs. Erst im Mai 2018 wurde ein Trauerhaus abgerissen, es kam anschließend zu wiederholten Zerstörungen êzîdîscher Gräber und Friedhöfe. Mehrfach wurden Êzîden, die mit Baumaßnahmen in ihren alten Dörfern begannen, tätlich attackiert. Maßnahmen, die rückkehrwillige Êzîden einschüchtern sollen. Neben religiösen Ressentiments gegenüber den Êzîden geht es auch um ökonomische Interessen in der Region. Viele Êzîden in Deutschland besitzen nach wie vor – zumindest auf dem Papier – die Besitzrechte auf Grund und Boden in den Dörfern Midyats. Diese aber werden vor allem von AKP-nahen Loyalisten beansprucht und enteignen auch mithilfe des Militärs die Êzîden.
Nach Kritik am neuen Wappen erklärte AKP-Bürgermeister Shahin via Twitter, dass in dem neuen Stadtwappen auch der „Tempel der Yeziden“ abgebildet sei – wo, weiß offenbar nur Shahin selbst. Im neuen Wappen ist jedenfalls kein Hinweis auf die auch êzîdîsche Identität der Stadt zu sehen. Auf einem früheren Entwurf, der dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt wurde, war jedoch noch das Abbild eines êzîdîschen Tempels zu sehen. Auf dem veröffentlichten Wappen dann fehlte das êzîdîsche Symbol, erklärte die HDP.
Die Mehrzahl der Êzîden aus Midyat ist in den 80er und 90er Jahren aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung vor allem nach Deutschland geflohen. Seit einigen Jahren versuchen wenige ältere Êzîden ihre teils brach liegenden Dörfer in Midyat wiederaufzubauen und stoßen dabei auf massiven Widerstand.
Die Stadt und die Region Midyat beherbergte einst eine Vielzahl an assyrisch-aramäischen Christen und Êzîden. Heute leben vor allem Kurden und Araber in der Region. Vor allem aber prägten die Christen, einst in der absoluten Mehrheit, die Region mit ihren zahlreichen Kirchen und dem weltbekannten Kloster Mor Gabriel in Tur Abdin, das seit dem 15. Jahrhundert Bischofssitz ist.
Die HDP ließ über ihren Vorsitzenden in Midyat, Cemal Bektas, erklären, sie werde eine erneute Änderung anstrengen und auf die Einfügung des êzîdîschen Pfauen-Symbols in das Wappen hinarbeiten. Ein entsprechender Antrag sei bereits gestellt worden. Im Stadtrat ist die HDP hinter der AKP zweitstärkste Kraft. Bei den letzten Wahlen im März 2019 erreichte die AKP-Partei knapp 53%, die HDP kam auf nur 34%. Oppositionelle warfen der AKP massive Wahlfälschung vor.
Ob es zu einer erneuten Änderung des Stadtwappens kommt, bleibt fraglich. Den Êzîden macht der Vorfall einmal mehr deutlich, dass sie in ihrer alten Heimat alles andere als willkommen sind.