Jerevan. Als am Morgen des 27. Septembers 2020 die Gewalt zwischen armenischen und aserbaidschanischen Grenzstreitkräften eskalierte, wurde schnell klar, dass der folgende Konflikt um die Region Bergkarabach deutlich brutaler ausfallen würde als in der Vergangenheit. Auch deshalb, weil die Türkei sich aktiv auf der Seite Aserbaidschans mit logistischer, finanzieller und militärischer Hilfe am Krieg beteiligte und syrische Söldner nach Bergkarabach entsendete. Seit Jahrzehnten streiten Armenien und Aserbaidschan um die Region, die im Jahr 1991 mit Unterstützung Armeniens ihre Unabhängigkeit erklärte. Es entstand die – international nicht anerkannte – Repubik Arzach.

Die Kämpfe im Jahr 2020 werden erbittert geführt und dauern bis zum 10. November desselben Jahres an. Am Ende siegt Aserbaidschan vor allem dank seiner absoluten Luftüberlegenheit durch türkische Drohnen und erobert weite Teile der Region – und verübt laut Amnesty International dabei Kriegsverbrechen. Verbrechen, die den Êzîden aus den vorausgegangene Konflikten gut in Erinnerung geblieben sind. Im April 2016 enthaupteten aserbaidschanische Soldaten vor laufender Kamera den zuvor gefangen genommenen êzîdîsch-armenischen Grenzsoldaten Karam Sloyan.

Die Bilanz des 44 Tage anhaltenden Kriegs im Jahr 2020 fiel verheerend aus. Offiziell starben auf aserbaidschanischer Seite 2.841 Soldaten, auf armenischer Seite 3.360 Soldaten. Hinzu kommen hunderte Zivilisten vor allem auf armenisch-arzachischer Seite. Über einhunderttausend Menschen wurden vertrieben.

Nach nunmehr bestätigen Informationen starben auf Seiten Armeniens im Laufe des Konfliktes insgesamt 16 êzîdîsche Soldaten. Zahlreiche weitere wurden körperlich verstümmelt, teilen êzîdîsche Aktivsten aus Armenien gegenüber ÊzîdîPress mit. Unter den getöteten êzîdîschen Soldaten befanden sich viele junge Männer im Alter zwischen 18 bis 20. 

Nach Ausbruch des Krieges formten sich auf armenischer Seite neben den Reservisten der Armee zwei êzîdîsche Bataillone. Einerseits, weil die Êzîden als Bürger Armeniens ihrer patriotischen Pflicht nachkommen wollten und andererseits, weil die historische Komponente eine ebenso entscheidende Rolle spielte. Seit dem Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 verbindet die ÊzîdInnen und ArmenierInnen eine tiefe Freundschaft, nachdem sich beide Volksgruppen gegenseitig verteidigten und untersützten.

Die Intervention der Türkei und der Einsatz syrischer Söldner weckten bei ÊzîdInnen die Erinnerungen an den Völkermord von 1915, unter dem sie ebenso gelitten hatten. Die Verteidigung Armeniens und der Republik Arzach wurde damit auch zu einer êzîdîschen Sache, erklärte etwa der êzîdîsch-armenische Parlamentsabgeordnete Rustam Bakoyan im Jahr 2020.

Nach Zensus im Jahr 2011 leben offiziell rund 40.000 Êzîden in Armenien. Mit etwa 1,3% Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen die Êzîden damit die größte ethnische Minderheit im Land dar. Im Jahr 2012 wurden die Êzîden als ethnische Minderheit anerkannt.