Drei im Mittelmeer ertrunkene êzîdîsche Mädchen aus Shingal (Owen Holdaway/Okt. 2015)
Drei im Mittelmeer ertrunkene êzîdîsche Mädchen aus Shingal (Owen Holdaway/Okt. 2015)


Duhok. Am 3. August 2014 überrannte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) das Hauptsiedlungsgebiet der êzîdîschen Minderheit im Nordirak. Über 400.000 Êzîden und damit jeder Zweite weltweit befindet sich seitdem auf der Flucht. Zehntausende versuchen über das Mittelmeer in das vermeintlich sichere Europa zu gelangen. Einer êzîdîschen Familie aus Shingal wurde der Fluchtversuch zum Verhängnis.

Am 10. Dezember vergangenen Jahres versuchte die 23-köpfige Familie mit einem brüchigen Boot von der türkischen Küste aus über das Ägäisches Meer auf eine der griechischen Inseln zu gelangen. Während der Überfahrt war das Boot leckgeschlagen und kenterte. Die von Angehörigen alarmierte Küstenwache kam jedoch zu spät. Lediglich drei der 23 Leichen konnten geborgen werden. Von den Leichen der 20 weiteren Familienmitgliedern fehlt bis heute jede Spur.

Celal Shingali, dessen Familie bei der Überfahrt umkam, versucht bis heute die Leichen seiner Familie ausfindig zu machen. Erst in der Türkei und schließlich in Griechenland. Jedoch ohne Erfolg, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur DIHA erklärt. In Griechenland gestrandet, weigert sich Shingali ohne die Leichen seiner Familie zurückzukehren: „Solange ich meine Familie nicht gefunden habe, werde ich nirgendwohin gehen. Wir flüchteten vor dem Tod; der Tod aber hat uns eingeholt. Es ist für mich unmöglich, sie nicht zu bestatten“.

In Shingal, der traditionellen Heimat der Êzîden, verübte die Terrormiliz einen Völkermord an der êzîdîschen Zivilbevölkerung. Zuvor flüchteten die 11.000 in Shingal und Umgebung stationierten Peshmerga-Soldaten und machten so den Weg für den IS frei. Über 5.000 Êzîden wurden getötet, bis zu 7.000 Frauen und Kinder, darunter viele minderjährige Mädchen, entführten die IS-Terroristen als „Kriegsbeute“ und führten mit ihnen die „islamische Tradition der Sklaverei“ wieder ein, wie es in dem IS-eigenen Magazin Dabiq heißt. Täglich werden die Frauen in der Gefangenschaft vergewaltigt. Die UN-Menschenrechtskommission schildert in einem Bericht die Zeugenaussagen freigekommener Êzîden. Nach Einschätzung der Kommission erfüllen die Gräueltaten der IS-Terrormiliz den Tatbestand des Völkermordes.

Über 90.000 Êzîden sollen Schätzungen zufolge bereits den Irak verlassen haben. Obwohl eine Vielzahl der derzeit vor allem in Flüchtlingslagern ausharrenden Êzîden in ihre Gemeinden und Dörfer zurückkehren möchte, suchen ebenso viele nach Jahrhunderten der Verfolgung Schutz und Frieden in Europa. Eine Rückkehr nach Shingal ist aufgrund der massiven Zerstörungen und teilweise mit Sprengfallen präparierten Häuser unmöglich. Weitere Dörfer im Süden der Region stehen nach wie vor unter der Kontrolle der Terroristen.

© ÊzîdîPress, 12. Januar 2016