Kocho. Ermittler der Vereinten Nationen und irakische Behörden haben die Exhumierung des ersten Massengrabes in der nordirakischen Region Shingal abgeschlossen. In dem Dorf Kocho, wo die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) besonders brutal gegen Angehörige der êzîdîschen Minderheit vorgegangen ist, konnten die Überreste von bis zu 30 Opfern aufgedeckt werden, teilte UNITAD in einer Erklärung mit. In Kocho ermordete die Terrormiliz IS bis zu 600 ÊzîdInnen. Dort hatte das von UN-Gesandten geleitete Untersuchungskomitee UNITAD am 15. März die Exhumierung begonnen.

Die Überreste der Opfer seien für eine DNA-Analyse in das forensische Labor der Universität von Bagdad gebracht worden, heißt es in der Erklärung. Dort sollen die Überreste mit der DNA von Verwandten abgeglichen werden, die ihre Angehörigen in Kocho als vermisst gemeldet haben.

Vor der Exhumierung des ersten Massengrabes musste das Gebiet von möglichen Sprengfallen und Minen geräumt werden. Die genaue Opferzahl soll nach der forensischen Untersuchung mitgeteilt werden. In der gesamten Region Shingal sollen sich etwa 70 Massengräber mit Opfern der IS-Schergen befinden. Diese sollen in den kommenden Monaten ebenfalls von UNITAD-Experten exhumiert werden.

Die Untersuchung und Dokumentation der Massengräber soll in künftigen Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der IS-Terrormiliz als Beweis für Völkermordverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlicheit gegen die Êzîden und andere Minderheiten dienen. So könnten auch vor anderen nationalen Gerichten, etwa Deutschland, Anklage nach dem Völkerstrafgesetzbuch erhoben werden. Bisher werden Mitglieder des IS, wenn sie in die Bundesrepublik gereist sind, etwa in Deutschland lediglich wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung angeklagt. Vor wenigen Tagen machte die Generalbundesanwaltschaft bekannt, dass sie gegen drei mutmaßliche IS-Mitglieder Anklage erhoben hat. Nur selten gelingt es, einzelnen nach Deutschland zurückgekehrten oder geflüchteten IS-Mitgliedern konkrete Straftaten wie die Beteiligung an Massenmorden oder Folterungen nachzuweisen.

Mit der Beweiserhebung durch UNITAD verbinden die Êzîden die Hoffnung, dass eine Anklage wegen Völkermordes auch vor einem möglichen Sondertribunal zur Aufarbeitung der Verbrechen des IS gegen Minderheiten im Irak und Syrien erhoben werden könnte. Weder der Irak noch Syrien haben das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert, weswegen eine Anklage vor dem IStGH in Den Haag derzeit nicht möglich ist. In Betracht kommt nur ein UN-Sondertribunal, dass IS-Mitglieder wegen Völkermordverbrechen zur Rechenschaft ziehen könnte.

Den Angehörigen der getöteten ÊzîInnen in Kojo sagte der leitende UN-Ermittler Karim A. Khan angesichts der ersten erfolgreichen Exhumierung, der „Weg zu wahrer Gerechtigkeit“ sei noch „lang“. Wie lange dieser Weg sein kann, beweist die Verurteilung der Massenmörder von Srebrenica 20 Jahre nach Beginn des Völkermordes.