Die Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen (GEA) ist über die Gräueltaten der Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS) zutiefst bestürzt. Mit hoher Geschwindigkeit übernehmen die Djihadisten der ISIS Städte und weite Landstriche im Irak, mit dem Ziel, ein Kalifat zu bilden. Wo die Islamisten die Macht haben, errichten sie ein Schreckensregime: Mit Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und Vertreibungen verbreiten die ISIS-Djihadisten im Irak unter der Bevölkerung Angst und Schrecken. Hunderttausende Menschen, religiöse Minderheiten wie Christen und Eziden, aber auch Schiiten, sind im Irak auf der Flucht vor dem Terror der ISIS.
Mit der kürzlich erfolgten Einnahme der Großstadt Mossul durch die ISIS begann dieses große Flüchtlingsdrama. Unter den Flüchtlingen befinden sich Tausende Eziden und andere religiöse Minderheiten, wie die Assyrer, Shabak, Aramäer und Chaldäer. Die irakische Regierung hat es bislang sträflich versäumt, die religiösen Minderheiten ausreichend zu schützen. Wir müssen mit Bedauern feststellen, dass die irakische Armee dem Vorgehen der ISIS offensichtlich nicht gewachsen ist oder ihre Führung wenig Interesse daran hat, die Islamisten zu stoppen. Insbesondere die Einnahme der Großstadt Mossul und die an den Tag gelegten Praktiken der ISIS-Organisation zeigen, wie brutal und menschenverachtend diese Terroristen sein können.
Die jetzt erfolgte Einnahme der nordirakischen Stadt Mossul durch die Kämpfer der ISIS bedeutet insbesondere für die dort lebenden ezidischen Kurden höchste Lebensgefahr, denn für die islamistischen Djihadisten sind die Eziden „Ungläubige“ und gehören nach deren Ansicht ohne wenn und aber ausgerottet. Die Eziden sind von der Volkszugehörigkeit her Kurden und Angehörige einer monotheistischen Religionsgemeinschaft, deren Geschichte mehr als 4000 Jahre zurückreicht. Mit 700.000 Eziden lebt im Irak ein Großteil der weltweit knapp eine Million Eziden, deren Existenz durch die jüngsten Entwicklungen nun stark bedroht ist. Die Eziden sind bereits seit Jahrhunderten in Mesopotamien Verfolgungen und Vertreibungen ausgesetzt. Doch noch nie in ihrer Geschichte waren die Eziden so stark bedroht wie jetzt im Nordirak, dem Entstehungsort ihrer Religion und dem wichtigsten ezidischen Siedlungsgebiet.
Bedeutende ezidische Heiligtümer und Stätten wurden von den Terroristen bereits zerstört. Und es besteht die Gefahr, dass auch das 60 km nördlich von Mossul gelegene Zentrum der Eziden, Lalish, in nächster Zeit angegriffen wird. Dessen Zerstörung wäre bei einem Vordringen der ISIS nicht zu verhindern. Außerdem ist das Gebiet Shingal (im irakisch-syrischen Grenzgebiet der Provinz Nineweh) akut bedroht. Wir sind in größter Sorge, dass gegen die ezidische Glaubensgemeinschaft und christlichen Minderheiten im Gebiet Shingal ein Vernichtungsangriff bevorsteht. Islamistische Terroristen verübten auch schon am 14.08.2007 zwei schreckliche Bombenanschläge auf die Eziden in der Shengal-Region, bei denen über 500 Eziden getötet und Tausende verwundet wurden. In Shingal leben ca. 500.000 Eziden, also ein Großteil der im Irak lebenden Eziden. Shingal liegt inmitten der Versorgungslinie der ISIS von Mossul zur syrischen Grenze. Nach aktuellen Medienberichten konnten zuletzt kurdische und irakische Truppen den Vormarsch der ISIS gebietsweise vorerst stoppen. Ob die kurdische Armee der Autonomen Region Kurdistan in der Lage ist, auf Dauer den Shingal zu schützen, lässt sich aktuell nur schwer einschätzen.
In der Bundesrepublik Deutschland leben ca. 100.000 Eziden, viele bereits in zweiter und dritter Generation. Die meisten von ihnen haben Angehörige in der im Irak bedrohten Region und sind in größter Sorge um ihre Familien und Freunde. Von unseren ezidischen Brüdern und Schwestern aus dem nordirakischen Gebiet Shingal werden wir ständig darum gebeten, deren Stimmen und Hilferufe der Weltöffentlichkeit, den nationalen und internationalen Institutionen zu übermitteln.
Dass unsere Sorgen begründet und Hilferufe notwendig sind, zeigt auch die Beantwortung der Bundesregierung auf eine aktuelle Kleine Anfrage („Situation von Angehörigen der ezidischen Religionsgemeinschaft“, Drs. 18-1541) vom 10. Juni 2014, initiiert von der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die Situation der Eziden besonders in Syrien und im Irak dramatisch ist. Umso wichtiger ist es, so schnell wie nur möglich Sicherheits- und Schutzmaßnahmen zu treffen:
- Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, Sofortmaßnahmen zum besseren Schutz der Bevölkerung und der religiösen Minderheiten im Irak zu treffen.
- Wir fordern, dass die Eziden im Irak rechtlich und regional endlich einen anerkannten Status bekommen.
- Wir appellieren an die internationale Weltgemeinschaft, gemeinsam gegen die Djihadisten aktiv vorzugehen.
- Wir appellieren an Menschenrechtsorganisationen und die demokratische Öffentlichkeit, derartige Ereignisse nicht hinzunehmen.
- Wir appellieren an die deutsche Regierung, den Schutzbedarf ezidischer Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien großzügig anzuerkennen.
- Wir appellieren für ein friedliches, tolerantes und solidarisches Zusammenleben aller Völker und Religionsgemeinschaften im Irak.
Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen (GEA)
Essen, den 20.06.2014
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