Sulaiman Murad (by BRIANNA SOUKUP/Lincoln Journal Star)
Sulaiman Murad (by BRIANNA SOUKUP/Lincoln Journal Star)

Über Jahre hat der kleine, glatzköpfige Mann Sulaiman Murad heimgesucht.

Verbissen folgte er Murad über die halbe Welt, vom Irak bis nach Lincoln (USA), von der US-Militärbasis nahe der irakisch-syrischen Grenze bis zu seiner Zweizimmerwohnung im Herzen Amerikas und wartete darauf, dass Murad einschläft.

Es waren dunkle Träume, die Explosionen und die Verluste miteingeschlossen – der Mann droht als nächstes zu Murad zu kommen, um seinen Rumpfkörper zu zerreißen und unter den Trümmern begraben zu werden.

Auch Ricky besuchte Murad in diesen Träumen, sein lächelnder und glücklicher Freund aus den Kindertagen.

Murad (32) lebte mit diesen Träumen fünf Jahre lang – mit dem namenlosen Mann, der eine Bombe um seine Brust geschnallt hatte, an ihm vorbeispazierte und ein Gebäude betrat und sich in die Luft sprengte, während Murads Freunde sich im Innern des Gebäudes aufhielten.

Und dann schrieb Murad die Geschichten nieder.

„Nachdem ich das Buch geschrieben hatte, tauchten sie nicht mehr in meinen Träumen auf“, sagt er.

Die Geschichte von Ricky- getötet von einem Selbstmordattentäter auf einer irakische US-Militärbasis im Jahr 2008 – war die erste, die er Phip Ross, einem englischen Lehrer am Southeast Community College erzählte.

Ein Lehrer der Murads schlug ihm vor ein Buch darüber zu schreiben und stellte die Idee auch Ross im Dezember 2011 vor. Die zwei arbeiteten ein Jahr lang daran, die Erinnerungen von Murad, die er und seine Freunde als Dolmetscher für das US-Militär während des Irak-Krieges gemacht haben, niederzuschreiben.

Ross wurde in das Projekt miteinbezogen, weil er Murad kennenlernen wollte. Ebenso wollte er aber auch helfen, weil es enorm wichtig war, dass Murad von seinen Erfahrungen berichtete, sagt er.

Der SCC Trainer sah eine starke Botschaft darin; über die Bedeutung von Kommunikation – und Missverständnissen.

„Die gesamte Kommunikation zwischen Sulaiman und mir ist ein Teil dieser Geschichte – die Kommunikation zwischen zwei Kulturen, “ sagt Ross. „ Ich unterrichte Kinder aus vielen unterschiedlichen Kulturen. Ich hab schon eine Vielzahl von Problemen in den zwischenmenschlichen Beziehungen gesehen.“

Manchmal sind es Missverständnisse – kulturelle oder sprachliche Kluften – die zwei Menschen trennen. Und manchmal greift es in militärische Konflikte über.

„Wir reden über Kontinente und wir reden über Nachbarschaften, “ sagt er.

Kommunikation ist immer komplex, sagt Murad, da sie in Historie und Politik, Religion und Tradition und die Sprache, die sie definiert, verwurzelt ist.

Im Kern handelt das Buch von Murad über die Sprache.

Er hoff, dass „Far Beyond Words: Stories of Military Interpreting in Iraq” [Titel des Buches; Anm. d. Red.] vor Ort von Infusionmedia veröffentlicht wird und zeigen soll, wie wichtig Dolmetscher für eine Mission auf fremden Boden sind und wie die USA öfters hieran gescheitert sind, sagt Murad.

Murad kritisiert vor allem Vertragspartner die, so sagt er, Dolmetscher engagieren die kaum Englisch sprechen. Viele von ihnen sind Jugendliche Straßenverkäufer mit geringer oder keiner Ausbildung. Andere – die Iraker, die in den USA gelebt haben – beherrschen die Sprache gut aber sie haben kein Verständnis für die Stämme und die Kultur des Landes.

Um die Arbeit gut zu erledigen und um Katastrophen vorzubeugen – die Murad und viele weitere Dolmetscher verhindert haben – müsse man mehr als nur die Terminologie des Militärs beherrschen. Man muss die Dialekte, die Politik, Geschichte und die Stämme Kultur verstehen, sagt er.

„Es ist richtig, dass die USA die größte Armee der Welt haben. Aber sie müssen mehr Aufmerksamkeit in kleinere Dinge investieren.“

Murad ist sich nicht sicher, ob die Verantwortlichen Amerikaner sich über die all diese kulturellen Unterschiede bewusst waren bevor sie in das Land eingedrungen sind. Sie haben wohlmöglich nicht realisiert, dass ein Wort verschiedene Bedeutungen haben kann.

Einmal, erinnert er sich in dem Buch, wurde Soldaten aus einem Haus evakuiert, von dem sie glaubten, dass dort Sprengstoff angebraucht worden war. Sie fragten eine Anwohnerin, die mit ihnen in dem Haus war. Der Dolmetscher – unvertraut mit den Dialekten der Region – missinterpretierte das Word „Kind“ mit „Hühner“.

Die Soldaten evakuierten auch sie aus dem Haus – in dem Glauben, dass sie alleine mit ihren Hühnern dort lebt, nicht mit ihren Kindern. Ein ansässiger Dolmetscher bekam die Unterhaltung mit und korrigierte den Fehler, sodass die Soldaten auch die Kinder im Haus in Sicherheit bringen konnten.

Das waren so Geschichten, die sich die Dolmetscher untereinander erzählten, wenn sie sich auf der Basis trafen um Cay zu trinken und zu reden.

„In der Nachte kamen die Dolmetscher zusammen und erzählten sich von den Vorfällen“, sagt Murad.

Murad trat der Gruppe der Dolmetscher im Jahr 2005 bei, nachdem ein US-Militärkommandant das Kulturzentrum besuchte, in dem er arbeitete und – beeindruckt von seinen Englischkenntnissen – ihn ermutigte, sich zu bewerben.

Bis dahin vermied er es, denn seine Familie war besorgt, weil die Arbeit zu gefährlich war.

Nach der US-geführten Invasion wurden viele Iraker Dolmetscher, weil die Bezahlung gut war – aber es war eine verräterische Art der Arbeit. Terroristen töteten Dolmetscher auf den Straßen, enthaupteten sie als Drohung für jene, die nach ihrer Auffassung für die USA arbeiteten.

Aber wie viele anderer, die unter der Repression des Saddam-Regimes litten, hatte auch Murads Familie finanzielle Probleme. Es war – trotz Ausbildung – schwierig eine gut bezahlte Arbeit zu finden.

Murad ist Angehöriger der êzîdîschen Religion, einer kleinen religiösen Gruppe und wurde im Nord-Irak in Shingal geboren.

Sein Vater war ein „Mukhtar“ – ein Dorfvorsteher. Ihr Haus war voller Tagungsräume, wo Angehörige seines Stammes kamen und nach dem Rat seines Vaters fragten.

Als eines von neun Kinder, war Murad ein sehr guter Schüler. Inspiriert von seinem Großvater, einem Stammesführer der an die Macht der Bildung glaubte, erwarb er einen Abschluss in Tiermedizin.

Und wie andere auch, glaubte er – zunächst – dass sie mit den Möglichkeiten der USA ihr Land wieder aufbauen können.

„Wir glaubten an die Fähigkeit Amerikas, alles erreichen zu können. Wir dachten, es geht um Freiheit für jeden, keinen Extremismus mehr, sie würden alles wieder in Ordnung bringen.“

Während seiner viereinhalbjährigen Arbeit auf der Basis im Nord-Irak, wurde klar, dass das US-Militär nicht alles regeln konnte, sagt er.

Im Jahr 2010 wurde ein US-Major auf die Basis wo Murad arbeitete stationiert, der wusste, dass mit dem Abzug aus dem Irak die Dolmetscher in große Gefahr kommen würden. So hat er ihnen geholfen spezielle Visa-Anträge für die Vereinigten Staaten zu beantragen.

Murad war einer von jenen, der die Vorteile eines Programmes in Anspruch nahm, der für Iraker aufgrund ihrer Tätigkeit für die USA eingerichtet worden war und deren Leben aufgrund ihrer Tätigkeit in Gefahr war.

Er hatte Glück. Die Bürokratie verlangsamte den Prozess für viele, und nur noch weniger als 30% der Visa waren kurz vor Auslauf des Programmes im September verfügbar. Der Kongress verlängerte erst kürzlich das Programm und beschleunigte das Verfahren.

Aber dann war Murad bereit sein Land zusammen mit seiner Frau zu verlassen, um in Lincoln im Jahr 2010 ein neues Zuhause zu finden, hier in einer ansteigenden Zahl der êzîdîschen Gemeinschaft, in der viele für die US Regierung im Irak gearbeitet haben.

Die Zahl der irakisch-stämmigen Einwohner Lincolns ist nach Zainab Al-Baaj zwischen 12.000 und 15.000 gewachsen, Koordinatorin des Projektes „Naher Osten – Nord Afrika Hoffnungs Projekt“ im Zentrum für gute Nachbarschaft. Zwischen 200 und 300 dieser Familien sind Êzîden.

Heute dolmetsch Murad in Krankenhäuser und Schulen, übersetzt militärische Terminologien für die Medizin und Forschung. Er besucht SCC und plant zum Bryan College für Gesundheitsforschung zu wechseln, um Sonograph zu werden.

Er vermisst seine Heimat und seine Familie und findet das Leben in den USA kompliziert. Aber er und seine Frau haben eine zwei Jahre alte Tochter und sind einer Gemeinde von Êzîden anderer Stämme beigetreten.

Viele seiner Geschichten sind die seiner Freunde. Außer die von Ricky.

Das war die Geschichte, die Murad erzählen wollte.

Er traf Ricky – und Rickys besten Freund Jimmy – während eines Fußballturniers lange vor dem Krieg.

Jimmy, ruhig und zurückhaltend und Ricky, aufgeschlossen und optimistisch, waren unzertrennlich.

Schließlich wurden beide Dolmetscher um Geld zu sparen, um so ihre Schwestern zu unterstützen, als diese geheiratet haben. Sie arbeiteten auf derselben Basis wie Murad, bis eines Tages im Jahr 2008.

Ricky begleitete Soldaten in ein Gebäude, in der die Aufzeichnungen aller Syrischen Flüchtlinge verwaltet wurden. Murad und andere Soldaten entschieden sich, sich ihnen anzuschließen, nachdem Murad seinen Kaffee ausgetrunken hatte.

„Ich denke, dass der Kaffee mein Leben gerettet hat.“

Murad und die Soldaten standen draußen, als ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit vergilbten Zähnen vorbeiging, und, nachdem er Murad rammte und seinen Kaffee verschüttete, das Gebäude betrat, in dem Ricky arbeitete.

Murad, der zum Umziehen kurz abwesend war, spürte das Beben und hörte dann die Explosion. Er sah, wie Soldaten zu den Trümmern liefen um ihre Kameraden zu finden. Er bewunderte ihren Mut und begab sich zu ihnen.

Sie fanden Ricky, begraben, sein Körper zerquetscht.

„Das war das erste Mal, dass ich Ricky ohne sein übliches Lächeln gesehen hab.“ schreibt Murad. „Der Kontrast zu dem Jungen, der so stilvoll und glücklich zu sein schien, ist unvergesslich.“

Rickys Tod machte die Gefahr für die Dolmetscher noch deutlicher.

„Ich dachte ´Es wird uns allen so ergehen´. Ich dachte ´Das ist unsere Zukunft´.“

Er verdankt sein Überleben und dankt in seinem Buch öfters dem US-Major H.E. Riepl, der auf der Basis arbeitete und Murad und anderen half, ihre Visa zu bekommen. Riepl, nun im Ruhestand, schrieb das Vorwort für Murads Buch.

Und das Buch, das eine Lektion über die Bedeutung der Sprache ist, ist auch ein Weg, um seinen Freund zu ehren.

„Ich denke, er wird es zu schätzen wissen“, sagt er.

êzîdîPress, 18.03.2014
Übersetzt aus „Iraqi interpreter writes of lessons learned; the importance of cultural understanding