Fotoalbum einer êzîdîschen Familie in den Trümmern der zerstörten Stadt Shingal (John Moore)
Fotoalbum einer êzîdîschen Familie in den Trümmern der zerstörten Stadt Shingal (John Moore)


Shingal. Mehrere mutmaßliche Kollaborateure der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Shingal versuchten in den vergangenen Tagen aus der Region zu flüchten. In einem Krankenwagen versteckt passierte eine kleine Gruppe am vergangenen Samstag mehrere Checkpoints, ehe sie von êzîdîschen Kämpfern und PKK-Einheiten aufgegriffen wurde. Bei den festgenommenen Personen handelt es sich um ehemalige Nachbarn der Êzîden, die sich der Terrormiliz IS angeschlossen haben sollen, wie ein êzîdîscher Kämpfer ÊP mitteilte. Die Zahl der festgenommene Personen sowie deren Identitäten wurden bisher nicht mitgeteilt. Grund sollen Unstimmigkeiten mit den vor Ort stationierten Peshmerga seien, die die Gruppe zuvor hat passieren lassen.

Einige der Personen sollen bei ihrer Festnahme zudem Peshmerga-Uniformen getragen haben, ohne tatsächlich Peshmerga-Soldaten zu sein. Die Gruppe stammt aus der Ortschaft Qabusiya im Süden der befreiten Stadt Shingal. Dort haben sich vergangene Woche mehrere Dutzend kurdisch-muslimische und arabische Familien aus Shingal, darunter Männer, Frauen und Kinder, an die Peshmerga-Einheiten gewendet. Nach eigenen Angaben habe der IS sie „festgehalten“. Êzîdîsche Kämpfer forderten die Peshmerga auf, die Personen vorläufig festzunehmen und ihre Beteiligung am Völkermord des IS zu prüfen. Unter den Familien waren zum Teil auch Angehörige der Peshmerga.

Êzîdîschen Einheiten wurde die Partizipierung in Qabusiya verweigert. Viele der kurdisch-muslimischen Familien in Shingal stehen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis mit hochrangigen Funktionären der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK). Die Êzîden werfen der PDK daher vor, IS-Kollaborateure zu decken. So etwa Verwandte des irakischen Parlamentsabgeordneten Majid Khalf Hamo (PDK), dessen Bruder Ziyad Khalaf Hamo im Februar dieses Jahres vom Peshmerga-Kommandanten Wahid Kovali in Shingal wegen Kollaboration mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ festgenommen wurde.

Bereits im August 2014, als die USA mit den Luftangriffen auf IS-Stellungen im Norden Shingals zur Befreiung der im Gebirge belagerten Êzîden begannen, setzten sich hunderte kurdische Muslime in die kurdischen Regionen im Norden ab. Zuvor beteiligten sie sich nach Angaben des êzîdîschen Kommandeurs Heydar Shesho an Tötungen und Entführungen von Êzîden.

In dem Dorf Kocho massakrierte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im August 2014 bis zu 600 Êzîden und entführte über 1.000 Frauen, Mädchen und Jungen. Tagelang wurde das Dorf von IS-Terroristen umstellt, die Bewohner sollten zum Islam konvertieren.

Abu Hamza Khantui, IS-Emir, der für das Massaker in Kocho verantwortlich war
Abu Hamza Khantui, IS-Emir, der für das Massaker in Kocho verantwortlich war

Wenig später begannen die Terroristen mit den Massenhinrichtungen. Jene, die das Hab und Gut, Gold und Geld der Êzîden in dem Dorf plünderten, sich an den Massentötungen beteiligten, waren ehemalige Nachbarn der Êzîden. Der Mann, der für den IS diese Operation leitete, heißt Abu Hamza Khatuni (Xatûnî), ein kurdischer Muslim aus Shingal, der dem Stamm der Xatûniya angehört. Als die Terrormiliz in Shingal einfällt, schließen sich Hamza Khatuni und sein Stamm der Terrorgruppe an, ermorden und entführen tausende Êzîden. Hamza Khatuni wird zu einem der militärischen Führer (Wali) in Shingal ernannt.

Said Mirad, einer der wenigen, die das Massaker in Kocho überlebten, sagte: „Es waren die Stammesangehörigen Mitewta, Khatuni, auch die kurdischen Muslime aus Shingal sahen wir unter ihnen. Wir kannten sie alle, ausnahmslos. Keine ausländischen Kämpfer wie Tschetschenen oder Afghanen waren darunter. Wir kannten sie alle. Außer mir überlebten einige weitere, die sie ebenfalls kennen. Menschen die wir täglich begrüßten, einander die Hand reichten. Einer derjenigen, der mir in den Nacken geschossen hat, war mein Arbeitskollege“.

© ÊzîdîPress, 23. November 2015