Kocho. Die seit Tagen anhaltenden Lauffeuer in der nordirakischen Region Shingal drohen weiter außer Kontrolle zu geraten. Am Mittwoch begannen irakische Sicherheitskräfte im Süden der Region mehrere Dörfer zu evakuieren, die drohten von den Flammen eingekesselt zu werden. In dem êzîdîschen Dorf Kocho breiten sich die Flammen immer näher an die Massengräber der Region aus, die wichtige Beweise für den Völkermord der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beinhalten.
Ein vermeintliches Massengrab im Südosten des Dorfes Kocho, das vom UN-Expertenteam bisher nicht dokumentiert wurde, sei bereits von den Flammen eingeschlossen und betroffen, berichten lokale Bewohner. In den vergangenen Jahren wuchs auf den Massengräbern erneut Gras, das durch die extreme Hitze stark getrocknet nun leicht vom Bodenfeuer erfasst und in Brand geraten könnte. Der Dorfvorsteher Kochos, Naif Jaso, warnte, dass die Flammen zahlreiche Beweise des Völkermordes zerstören könnten. Er vermutet, dass Überbleibsel der IS-Herrschaft, etwa chemische Mittel und improvisierte Sprengsätze, die Brände mit verursacht haben könnten. Andere verdächtigen die IS-Terrormiliz direkt, die Brände gelegt zu haben.
In den bis heute größtenteils unbewohnten Dörfern hat sich seit Frühling in den Innenhöfen und zerstörten Teilen der Gebäude Wildwuchs angesammelt. Das leicht entflammbare Unkraut wirkt wie ein Katalysator für die Flammen, die sich so binnen weniger Minuten im gesamten Dorf ausbreiten können. Irakische Sicherheitskräfte hatten daher Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet.
Zwar bekannte sich der IS in seinem al-Naba Newsletter zur Brandstiftung zahlreicher Weizenfelder im Irak uns Syrien, die Gründe für die Brände dürften jedoch vielfältig sein. Dass der IS in der Umgebung der Shingal-Region weiterhin aktiv ist, zeigt der Angriff der Terrormiliz am vergangenen Dienstag.
Für die vom Ackerbau abhängige Region Shingal stellen die Feuer eine weitere Katastrophe dar. Nur wenige der ehemaligen Bewohner sind seit Beginn des Völkermordes in ihre Dörfer zurückgekehrt. Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad rief die irakische und kurdische Regierung bereits vor Tagen auf, betroffene êzîdîsche Bauern für ihre Ernteausfälle unter anderem zu entschädigen.
Immer wieder kommt es bei Löschversuchen der Anwohner zu Rauchvergiftungen. Mit einfachsten Mitteln versuchen sie die Ausbreitung der Brände zu verhindern, scheitern aufgrund der Intensität der Flammen jedoch und begeben sich so in Lebensgefahr.
Satellitenaufnahmen, die vom niederländischen Journalisten Wim Zwijnenburg ausgewertet wurden, zeigen das Ausmaß der Brände in Shingal vom 9. Juli. Auch in anderen Teilen der Provinz Ninawa, etwa in Tal Afar, wüten heftige Brände, die bisher mehrere Tote und Verletzte zur Folge hatten.