Matthew Barber
Matthew Barber

Kommentar von Matthew Barber*. Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache am 31. Januar 2017 auf NRT. Die folgende Übersetzung erfolgte mit Zustimmung des Autors. Etwaige Änderungen oder Abweichungen erfolgten in Absprache mit dem Autor. 

Nach der Schließung von Yazda, einer yezidischen Menschenrechts- und humanitären Organisation, durch die Asayish der PDK (Sicherheitspolizei der größten, kurdischen Partei, der Demokratischen Partei Kurdistans) am 2. Januar 2017 in Duhok, haben die Menschen viele Fragen zu den Gründen der Schließung gestellt. Glücklicherweise hat die Regierung ihre Position mittlerweile überdacht und Yazda wurde wieder geöffnet. Dennoch weist dieser Vorgang auf einige ernsthafte politische Aspekte hin, die den Status der yezidischen Minderheit in Kurdistan betreffen. Diese Aspekte werde ich im folgenden Artikel näher untersuchen.

Nachdem ich das Land im vergangenen August nach einem Jahr als Vorsitzender Yazda’s im Irak und Kurdistan verlassen habe, werde ich hier nicht im Namen von Yazda sprechen. Aber ich möchte meine Ansichten bezüglich der Situation der Yeziden offenlegen und über die Stimmungslage der Yeziden sprechen, die zeigen, aus welchem Grund Yazda zum Ziel der Behörden wurde.

Eine zerbrochene Beziehung

Um die Spannungen zwischen der PDK-Regierung und den Yeziden zu verstehen, erfordert es die Untersuchung, warum die PDK im Allgemeinen eine problematische Beziehung mit der Mehrheit der Yeziden hat. Tatsächlich haben jene Yeziden, die sich dem politischen PDK-Establishment angenähert haben, in der Regel die Gunst und den Respekt eines Großteils ihrer Gemeinschaft verloren. Dies liegt zum einen daran, dass die politische Agenda der PDK oft mit dem Wohl der Yeziden in Konflikt steht und zum anderen, dass eine Reihe von entscheidenden Fragen, die die Zukunft der Yeziden betreffen und gefährden, sich im vergangenen Jahr wieder verschärft haben.

Was meine ich mit einem Interessenskonflikt zwischen den Yeziden und der PDK? Seit dem Fall von Saddam hat Kurdistan hart daran gearbeitet, die Grenzen des erhofften, zukünftigen und unabhängigen Kurdistans zu erweitern. Diese Bestrebungen und Bemühungen sind vor dem Hintergrund, dass die Kurden durch viele Regime im Irak zu Opfer wurden, nachvollziehbar. Aber viele Kurden realisieren trotz ihrer Viktimisierungsgeschichte nicht, dass ihre neugewonnene Macht auch die Möglichkeit und das Risiko der Vikitimisierung anderer schafft – vor allem der Minderheiten, die oft in den umstrittenen Gebieten leben, die sich Kurdistan aneignen möchte.

Der Sheikhan-Distrikt in der Ninawa-Ebene war früher ein Mehrheitsgebiet der Yeziden, aber seit dem Fall von Saddam wurde es Teil eines gezielten demografischen Wandels, das die Ansiedlung sunnitischer Kurden umfasst, um den Anspruch zu verstärken, die Region müsse an die Autonomen Region Kurdistan angeschlossen werden. Dieses Programm ist vergleichbar mit den Arabisierungsplänen, mit denen Saddam die Kurden unterworfen hatte, um das politische Ergebnis eines demografischen Wandels herbeizuführen. Sheikhan, eine historische Heimat der Yeziden, ist heute muslimisches Mehrheitsgebiet, eine Veränderung, die vollständig nach der Saddam-Ära eingeleitet wurde. Selbst der Mîr, die höchste religiöse Autorität der Yeziden, diskutierte mit US-Beamten über diese Problematik.

In Shingal („Sindschar“ auf Arabisch) wurde die PDK nach 2003 schnell zu einer starken Macht. Viele Yeziden waren offen für eine Zukunft Shingals als Teil Kurdistans, in der Hoffnung, dass das Leben unter der kurdischen Regierung mehr Rechte für Minderheiten bieten würde als es unter der Herrschaft der Baath-Partei der Fall war. Aber vom ersten Tag an begann die PDK-Asayish mit systematischen Verhaftungen und Einschüchterungen der yezidischen Zivilisten, die einer konkurrierenden politischen Partei beigetreten waren und die vor allem eine weitere Verwaltung Shingals unter der Administration der Zentralregierung befürworteten. Obwohl die Daseinsvorsorge fast vollkommen von Bagdad finanziert wurde, hat die PDK Beamte aus dem Gouvernement Ninawa, die nicht der PDK angehörten, aus Shingal vertrieben, sodass sie die Kontrolle über alle administrative Positionen erhielt. Der „Bürgermeister“ (qaymaqam) von Shingal, einschließlich des derzeitigen Bürgermeisters, wurde nie durch die lokale Bevölkerung gewählt, sondern von der Partei ernannt und sind – natürlich- treue Parteiloyalisten. Trotz der Tatsache, dass die PDK Shingal vollkommen dominierte, blieb die Region eine der am wenigsten entwickelten und am meisten marginalisierten Distrikte im Irak.

Aufgrund dieser Geschehnisse hat die Mehrheit der Yeziden in Shingal bis 2014 die Gebietshoheit der PDK abgelehnt; der Rückzug der Peshmerga am Morgen des Völkermordes war nur der letzte Akt in einer langen Kette, die das Vertrauen in die PDK für immer gebrochen hat. Doch aufgrund der PDK-Politik hat sich die Situation der Yeziden nach dem Genozid nochmals verschlechtert. Die Ursache soll in diesem Artikel erläutert werden.

Heute herrscht eine bittere politische Pattsituation in Shingal, die die bereits verschlechterten Beziehungen zwischen den Shingal-Yeziden und der PDK verschärft. Um die Entwicklung dieses Konfliktes zu verstehen, müssen wir zunächst einige Schlüsselaspekte klären, wie der Völkermord geschehen konnte und auch einige Mythen entlarven, die von Regierungsvertreten über den Tag des Völkermordes propagiert wurden.

Richtigstellungen bezüglich Shingal

Obwohl jedem der Peshmerga-Rückzug vom 3. August 2014 bekannt ist, dem Tag, an dem der Völkermord an den Yeziden begann, wurden viele Bürger Kurdistans und im Irak dazu verleitet drei Hauptausreden zu akzeptieren, die von PDK-Verantwortlichen vorgebracht wurden, um den Rückzug zu rechtfertigen:

1) Dass die Invasion Shingals durch den IS ein Überraschungsangriff war, 2) dass die Peshmerga nicht ausreichend bewaffnet waren, um die yezidische Bevölkerung gegen den IS zu verteidigen, und 3) dass die Peshmergas sich zwar widersetzt hatten, der IS aber einfach zu mächtig gewesen sei und die Frontlinien zusammenbrachen.

Die erste Behauptung ist offensichtlich falsch, da jedem bekannt ist, dass Mossul Anfang Juni, zwei Monate vor dem Angriff auf Shingal, vom IS erobert wurde. Während des Zeitraums zwischen der Eroberung Mossuls und dem Völkermord an den Yeziden weitete der IS seine Kontrolle allmählich über die arabischen Gebiete südlich und östlich von Shingal hinaus aus. Während dieses Zeitraums wurde auch Tal Afar erobert und der Einfluss des IS kam immer näher an Shingal heran. Tatsächlich gab es mehrere kleinere Angriffe auf abgelegene yezidische Dörfer im Südosten – und auch im Norden – von Shingal. Vor dem 3. August wurde etwa Tel Banat mehrfach angegriffen. Mit anderen Worten: Die Bedrohung durch den IS war bekannt und es war viel Zeit vorhanden, um sich auf einen möglichen Konflikt vorzubereiten und einen Evakuierungsplan für die Zivilisten einzuführen.

Die zweite Behauptung ist ein Versuch, sich der Verantwortung für das Versagen, die Yeziden zu verteidigen, zu entziehen. Es wird die Tatsache ignoriert, dass nachdem das irakische Militär in den Gebieten nahe Mossul zerschlagen worden war, kurdische Kräfte die Waffen der irakischen Waffendepots beschlagnahmt und sich alle Waffen und Munition angeeignet hatten. Dazu gehört Kesek, wo das „Zentrale Waffenlager“ untergebracht war, das Waffen und Munition für die 2. und 3. Divisionen der irakischen Armee sowie für militärische Ausbildungslager in Zakho und Suleimania zur Verfügung stellte.

Darüber hinaus waren die Soldaten, als die irakischen Armeeeinheiten sich aus Tal Afar und der Shingal-Region zurückgezogen hatten, nicht in der Lage nach Bagdad zurückzukehren, ohne die kurdisch kontrollierten Gebiete zu durchqueren. PDK-nahe Kräfte zwangen diese irakischen Einheiten daher nicht weniger als ihre Waffen, Munition, Ausrüstung und militärischen Fahrzeuge auszuhändigen, und zwar am PDK-Hauptquartier in Shingal. Dies schloß die 10. Brigade der 3. Division und die 11. Brigade der 3. Division der irakischen Armee ein. Obwohl sie Tal Afar wenigstens für einige Zeit gehalten und verteidigt hatten, wurden sie, nachdem sie vom IS zurückgedrängt wurden, von PDK-Einheiten regelrecht ausgeraubt und mit Zivilkleidung nach Bagdad geschickt. Abgesehen von dieser Tatsache, die der Behauptung widerspricht, den Peshmerga hätte es an adäquaten Waffen gefehlt, sollte die Frage eher lauten, wie die syrischen YPG-Einheiten, die kleinere Waffen, minderwertigere Fahrzeuge hatten und in der Regel weniger gut ausgestattet sind als die Peshmerga, in der Lage waren ein ihnen unbekanntes Gebiet zu betreten, das nie unter ihrer Kontrolle stand, ohne den strategischen Vorteil der höheren Gebirgsebene, sich durch die IS-Linien zu kämpfen, nachdem der IS sich bereits in der Gegend niedergelassen und das Gebirge belagert hatte. Der Punkt ist, dass die angebliche waffentechnische Überlegenheit des IS nichts mit dem Rückzug zu tun hatte. Denken sie daran, dass es zahlreiche Orte in den Ausläufern des Shingal-Gebirges gab, wo nur eine Handvoll yezidischer Bauern sich mit alten Gewehren den Dschihadisten in den Weg stellten und verhinderten, dass sie diese Regionen eroberten – das ist der Höhenvorteil, den ein Gebirge bietet. Der Gedanke, dass die Peshmerga nach Duhok fliehen mussten, statt sich zur Verteidigung auf das Gebirge zu begeben und die Evakuierung der Zivilisten abzusichern, ist offensichtlich absurd.

Am bedeutendsten aber ist die dritte Behauptung, die lautet, dass die Peshmerga-Linien von der Stärke des IS überwältigt wurden. Diese Behauptung ist im Hinblick auf die Art und Weise, wie der Rückzug durchgeführt wurde, nachweislich falsch. Der Rückzug war keinesfalls eine chaotische, zufällige Flucht nach einer Auseinandersetzung mit dem Feind. Das Shingal-Gebirge ist 72 km breit und mit der Präsenz der Sicherheitskräfte in all den Städten in der Region ist es nahezu unmöglich, dass jede einzelne „Frontlinie“ gleichzeitig zusammengebrochen ist. Wenn Einheiten in einem der Gebiete überwältigt wurden, würden noch immer viele weitere Einheiten in der Lage sein ihre Stellungen in anderen Regionen zu halten. Der Rückzug aber war kollektiv (inklusive fast aller Sicherheits- und Milizen-Angehörigen des gesamten Bezirks) und wurde auf organisierte Art und Weise durchgeführt, wobei alle Waffen und militärischen Fahrzeuge aus Shingal zurück nach Kurdistan transportiert wurden. Als die örtlichen yezidischen Zivilisten sahen, dass die Peshmerga sie im Stich gelassen hatten, flehten sie diese an, wenigstens die Waffen zurückzulassen, damit sie ihre eigenen Familien verteidigen konnten. Die Peshmerga aber weigerten sich. Nach Zeugenaussagen hunderter Überlebender hat der geplante Rückzug bereits dann begonnen, als der IS Shingal noch nicht erreichte. Diese unzähligen Zeugnisse ziviler Augenzeugen wurden bestätigt von einem Peshmerga-Führer namens Sime Mulla Muhammed, verantwortlich für die Einheiten in Shingal (Stadt), der am 3. August 2016 in einem Interview in der Zeitung Xendan bekanntgab, dass der Rückzug seiner Männer ohne Feindkontakt stattgefunden hatte, noch bevor die Dschihadisten in Sichtweite waren und als nur bekannt war, dass der IS in die Region einmarschiert. Darüber hinaus haben nicht nur Qasim Shesho (derzeitiger Führer der PDK-Peshmerga in Shingal) in Aufzeichnungen erklärt, dass die Peshmerga flohen bevor die Zivilisten evakuiert wurden, sondern auch die Reaktion des Präsidenten Barzanis auf den Rückzug widersprechen den Angaben, wonach die Frontlinien zusammenbrachen, als er Anfang August im Hinblick auf die Befehlshaber von „Nachlässigkeit“ sprach und ein Komitee bildete, um mögliche Pflichtverletzungen zu untersuchen.

Die oben dargestellten Tatsachen werden noch schmerzhafter, wenn man bedenkt, dass am Vortag des Völkermordes, am 2. August 2014, die Einheimischen in Shingal bereits wussten, dass der IS sich mobilisierte. Sie konnten spüren, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Die Yeziden baten die Sicherheits-Verantwortlichen, die Menschen zu evakuieren. Die Peshmerga-Führer versicherten den Menschen aber, dass sie sie beschützen würden und sagten ihnen, dass sie in ihren Dörfern bleiben sollen. In einigen Fällen verhinderten die Asayish sogar die Evakuierung von Familien; einige Familien hatten ihr Hab und Gut in Autos geladen und versuchten nach Kurdistan zu fahren, wurden aber an den Kontrollpunkten der Dorfeinfahrten zurückgewiesen.

Ich stelle diesen Hintergrund dar, um deutlich zu machen, warum das Vertrauen der Yeziden aus Shingal in die PDK unwiederbringlich zerstört ist. Zudem erklärt es auch, weshalb die YPG- und PKK-Kräfte, die in Shingal einmarschierten, um die Yeziden zu verteidigen, so viele Herzen und Anhänger gewonnen haben. Diese Kräfte haben nicht nur die Leben zehntausender Yeziden gerettet, sondern ermöglichten es auch den lokalen Yeziden ihre Frontlinie gegen den IS für die nächsten 15 Monate zu halten und dabei mehr Dschihadisten zu töten, als jede andere Miliz.

Die Verhinderung der Rückkehr der Yeziden und des Wiederaufbaus: Die ökonomische Blockade

Dies bringt uns zu dem gegenwärtigen politischen Konflikt, in dem die Yeziden die Opfer sind. Es ist weithin bekannt, dass nachdem PKK-nahe Einheiten in Abwesenheit der Peshmerga die Yeziden gerettet haben, sie den Yeziden auch geholfen haben eine eigene Miliz, die YBŞ, zu gründen. Diese Einheit ist zwar mit der PKK verbunden, besteht aber hauptsächlich aus Yeziden aus Shingal, die sich zusammengefunden haben, um ihre eigenen Familien und ihr Hab und Gut zu verteidigen.

Der PDK liegt viel daran, die YBŞ zu vertreiben. Sie wollen, dass alle Nicht-PDK-Milizen sich auflösen, damit die PDK-Peshmerga wieder die volle Kontrolle über Shingal erlangen und zum üblichen Tagesgeschäft zurückkehren. Aber die PDK weiß auch, dass sofern die vertriebenen Yeziden, die derzeit in Flüchtlingslagern in Duhok leben, zurückkehren, sie eher eine rivalisierende Miliz, etwa die YBŞ, unterstützten werden, weil sie kein Vertrauen mehr in die PDK haben.

Dies wiederum bringt uns zu der entmutigendsten Tatsache, dass die wirtschaftliche Blockade Shingals Teil der PDK-Strategie ist, die yezidischen Familien, die den Völkermord überlebten und seit über zweieinhalb Jahren in den Flüchtlingslagern leben, dort eher festzusetzen als ihnen zu erlauben, nach Shingal zurückzukehren. Der nördliche Teil Shingals ist seit Dezember 2014 vom IS befreit, ohne dass es zwischenzeitlich einen IS-bezogenen Zwischenfall gab. Der Norden beherbergt acht große Städte und über 25 kleinere Ortschaften, die von Yeziden bewohnt werden. Er ist für die Rückkehr und den Wiederaufbau bereit, und mehrere tausend Yeziden haben sich dort erneut angesiedelt und versuchen ihre zerstörten Häuser und Bauernhöfe wieder aufzubauen. Dennoch hat die PDK-Asayish diese Familien seit über einem Jahr effektiv mit einer ökonomischen Blockade ausgeblutet – und verhindert die Rückkehr von Tausenden weiteren, die darauf warten, ihr Leben wieder aufzubauen. Am Haupt-Checkpoint, der die Zufahrt von Duhok (Fishkhabor, nahe dem Dorf Suheila) nach Shingal kontrolliert, erlaubt es die Asayish den Yeziden nicht, ihre Waren nach Shingal einzuführen, von denen der grundlegende Wirtschaftsbetrieb abhängt, wie etwa die Viehzucht sowie Produkte für den Einzelhandel. Selbst jenseits dieser kommerziellen Ebene ist es den yezidischen Familien untersagt, Grundgüter und Grundnahrungsmittel, von denen die Familien abhängig sind, nach Shingal einzuführen. Es gibt unzählige Beispiele dafür, was nicht gestattet wird. Hier sind einige Beispiele, die ich in persönlichen Gesprächen mit betroffenen Familien, Landwirten und Ladenbesitzern, zusammengetragen habe:

  • Mechaniker dürfen keine Ersatzteile für Fahrzeuge einführen, darunter auch Teile für Pick-Ups und Traktoren; von beiden sind die Landwirte abhängig.
  • Geringe Mengen von Grundnahrungsmittel für den Bedarf einzelner Familien (etwa einzelne Beutel Zucker, Mehl oder Reis) sind grundsätzlich nicht erlaubt.
  • Die Landwirte berichten, dass es ihnen nicht erlaubt ist, Motoröl einzuführen, was für ihre Landwirtschaftsmaschinen benötigt wird (Shingal ist abhängig von Weizen und Gerste). Kraftstoff (für Tankstellen) wird ebenso gelegentlich beschränkt.
  • Zement und Betonsteine für den Wiederaufbau der Häuser, die durch den IS zerstört wurden, sind nicht erlaubt
  • Viele Familien wurden daran gehindert, ein einzelnes Schaf oder Lamm durch den Checkpoint zu befördern.
  • Dünger ist ebenfalls nicht erlaubt. Die Asayish behaupten, dass dies die Terroristen daran hindern soll, Bomben zu bauen; diese Sorge teilen die verarmten yezidischen Bauern jedoch nicht. Ohne Dünger verlieren sie 50 bis 70 Prozent ihres Ertrages.
  • Landwirten wird nicht erlaubt, gewöhnliche landwirtschaftliche Ausrüstung, wie Bewässerungsanlagen, nach Shingal einzuführen.
  • Den Schulleitern in Shingal ist es untersagt, grundlegende Schulmaterialien (wie Papier, einen einzelnen Drucker oder einen einzelnen Laptop) durch den Checkpoint zu befördern und sie wurden zudem daran gehindert, Scheinwerfer sowie Wasserpumpen für die Wassersysteme der Schulen einzuführen.
  • Vertriebene Familien, die versuchten zurückzukehren, wurden in die Lager zurückgeschickt, als diese ihre eigenen Möbel und Zelte, die sie als Übergangs-Behausung benötigen, nach Shingal zu transportieren versuchten.
  • Veterinärmedizin ist nicht erlaubt. Die Familien in Shingal leben von Viehherden, aber Ladenbesitzern in Sinune und anderen Gemeinden, die Veterinärmedizin anbieten, sind aufgrund der Beschränkungen nicht in der Lage ihre Läden wiederzueröffnen.

Als eine unverkündete und daher „inoffizielle“ Blockade, wird diese selektiv durchgesetzt. Jene mit engen Verbindungen zur Regierung, zu den Asayish oder den Peshmerga ist es manchmal erlaubt, Waren einzuführen. Einige wenige Einzelteile etwa sind für die Geschäfte in Sinune erlaubt. Dies erlaubt den Regierungsbeamten die Existenz der Blockade zu leugnen, wenn sie darauf angesprochen werden. Aber selbst wenn bestimmte Güter eingeführt werden dürfen, werden die Fahrer auch dann grob behandelt und von den Asayish gedemütigt, ihre gesamte Ladung (z.B. Kisten voll Gemüse) in der Sonne zu entladen. Viele bezahlte Fahrer haben daher einfach aufgegeben, Waren nach Shingal zu transportieren. Als einige Landwirte sich über die Blockade der Einfuhr von Gütern beschwerten, sagten die Regierungsvertreter ihnen, dass sie spezielle Genehmigungen beantragen müssten, um Güter nach Shingal einführen zu dürfen (Genehmigungen, die nie zuvor nie existierten und von denen niemand gehört hatte). Landwirte, die versuchten durch diesen Genehmigungsprozess zu kommen, wurden von einem Büro zum nächsten geschickt, und der Prozess – nur um eine offiziell genehmigte Erlaubnis zu erhalten landwirtschaftliche Güter für kleine Bauernhöfe einzuführen – konnte Monate dauern. Dies kann den Verlust einer gesamten Ernte oder das Fehlen einer gesamten Saison bedeuten. Die meisten Menschen haben daher einfach aufgegeben. Ein Landwirt, der endlich zu solch einem Genehmigungsdokument durch das Duhok Gouvernement gelangte, wurde dennoch von den Asayish am Checkpoint daran gehindert, die Waren nach Shingal einzuführen: es gibt keine Garantie, dass die Asayish ein Dokument des Gouvernement respektieren.

Human Rights Watch untersuchte diese Blockade und veröffentlichte kürzlich einen Bericht, in dem es die Regierung dafür kritisiert, den Wiederaufbau aktiv zu verhindern. Ich war persönlich immer für einen Wiederaufbau, sodass die Yeziden in ihrer Heimat eine Zukunft haben, statt zu emigrieren. Die Emigration zerstört die traditionelle Vielfalt der lokalen Gesellschaft und bringt das Erbe der kleinen Minderheit in Gefahr. Die derzeitigen politischen Maßnahmen verhindern jedoch die Rückkehr yezidischer Familien und den Wiederaufbau, was Hoffnungslosigkeit verursacht und eine noch größere Emigration hervorruft.

Politische Gewalt gegen Yeziden

Diese Situation ist sogar noch schlimmer. Den vom Genozid betroffenen und seit nunmehr drei Jahren in Flüchtlingscamps lebenden Familien wird nicht nur die Rückkehr und die Fortführung eines normalen Lebens verwehrt, sie werden auch hart bestraft, wenn sie sich über diese Situation beschweren. Die Asayish kontrollieren streng die Aktivitäten der Yeziden in den Flüchtlingscamps. Den Yeziden in den Flüchtlingscamps wird allgemein nicht erlaubt, eine öffentliche Versammlung zu organisieren, es sei denn, sie dient einer offiziellen politischen Partei. Das schließt Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag des Genozids im letzten August ein, bei denen die Asayish befürchtete, sie könnten möglicherweise für die Äußerung von Kritik genutzt werden. Yeziden, die in den Flüchtlingscamps friedliche Demonstrationen veranstalten oder sich in sozialen Medien kritisch über die sie beeinträchtigende Politik äußern, wurden oft verhaftet, geschlagen oder bedroht. Im Allgemeinen hat die Asayish erfolgreich die Kritik der Yeziden, die über ihre Lage verzweifelt und frustriert sind, unterdrückt.

Am Schlimmsten von allem ist jedoch die politische Gewalt gegen Yeziden, die sich rivalisierenden Milizen anschließen. Diese jungen Leute und deren Familien können festgenommen, inhaftiert, verhört und geschlagen werden. Junge yezidische Männer und Frauen, die sich der YBŞ anschließen, können ihre vertriebenen Verwandten in den IDP-Camps in Dohuk nicht besuchen, weil sie sonst festgenommen werden. Die Asayish der PDK hat tatsächlich unschuldige Taxifahrer verhaftet, die beschuldigt wurden YBŞ-nahe Fahrgäste als Kunden in ihrem Taxi befördert zu haben. Einige Taxifahrer hatten keine Kenntnis von den Identitäten ihrer zahlenden Kunden, aber wurden dennoch festgenommen und eingesperrt. Einige junge Männer und Frauen haben ihre Familien in den Flüchtlingscamps – nur drei Fahrtstunden von ihnen entfernt – seit über zwei Jahren nicht gesehen, weil sie befürchten, festgenommen zu werden.

Einer meiner Mitarbeiter während meiner leitenden Tätigkeit bei Yazda in Irak und Kurdistan war ein einfacher mittelloser Mann, der als Reinigungskraft im Yazda Gesundheitszentrum gearbeitet hat. Er hatte kein politisches Interesse, aber einige seiner erwachsenen Kinder entschieden sich dazu, sich der YBŞ anzuschließen um ihre Heimat zu verteidigen. Eines Tages wurde er von der Asayish zu einem Büro gebracht. wo er verhört und ihm gesagt wurde, dass er “verschwinden” werde (d.h. eingesperrt ohne Anklage oder Prozess), wenn er seine Kinder nicht davon überzeugen würde, sich von der YBŞ zu trennen. Er konnte sie jedoch nicht von ihrem Anliegen abhalten, Shingal zu verteidigen, sodass er die Region Kurdistan verlassen musste. Er kehrte aus Angst um seine Sicherheit nach Shingal zurück, wo er weder Arbeit noch andere Mittel hat. Solche Vorfälle sind alltäglich.

Yazda Irak ist nicht die erste regionale yezidische Organisation, die seit dem Genozid von der PDK geschlossen wurde. Rainbow, ein von Yeziden entworfenes Projekt, das im Mamilian Flüchtlingscamp mit Kindern Aktivitäten veranstaltete, wurde Ende 2015 geschlossen, nachdem einige ihrer ehrenamtlichen Mitglieder sich an friedlichen Demonstrationen gegen die Behandlung der Yeziden beteiligten. Hezar Dinar (Tausend Dinar) war ein einflussreiches Projekt mit enormer Wirkung. Yezidische Ehrenamtliche sammelten kleine Spenden von einer großen Anzahl von Menschen in der Region, um sie an die Bedürftigen in den Flüchtlingscamps umzuverteilen. Das Projekt war unpolitisch, aber kurz vor dem Sommer 2016 von der PDK-Asayish stillgelegt worden, nachdem einige der Mitglieder auf einem Foto zu sehen waren, auf dem sie eine andere als die PDK-Flagge hielten. Yazda war lediglich das letzte Opfer in einer andauernden Kampagne, die freie Äußerung jeglicher kritischer Ansichten unter den Yeziden zum Schweigen zu bringen.

Während ich in der Autonomen Region Kurdistan arbeitete, wurde ich häufig von kurdischen Beamten angegriffen, wenn ich auch nur die leiseste Besorgnis über die Situation äußerte und in welcher Weise sie die Überlebenden des Völkermordes trifft. Als ich in einem UN-Treffen erwähnte, dass die Asayish den Transport bestimmter Güter nach Shingal unterbinden würde, wurde ich von Regierungsvertretern öffentlich verhöhnt und beschuldigt, ein “Unruhestifter” zu sein. In Wahrheit aber war es die Regierung, die den Opfern des Völkermordes Probleme bereitete.

Einzelpersonen oder Organisationen, die sich irgendwie kritisch über die Politik der PDK in Shingal äußerten, wurden oft beschuldigt, “die PKK zu unterstützen”. Das ist eine absurde Behauptung; die schädigende PDK-Politik zu kritisieren stellt keine Unterstützung für die PKK dar.

Abgesehen vom Konkurrenzkampf um Shingal sind auch die politischen Dynamiken innerhalb der Region Kurdistans ungesund. Im Frühjahr 2016 wurde ich von einem PUK-Peshmergakommandanten besucht, der eine kleine Einheit von PUK-Peshmerga in Shingal kommandierte. Er beschrieb mir, wie er versuchte, eine große Medikamentenladung nach Shingal zu transportieren, dabei aber von der PDK-Asayish gehindert wurde, trotz seiner Stellung als Peshmerga-Kommandant. Während meiner Tätigkeit im Land litten die Hauptgesundheitszentren unter Medikamentenmangel. Ich spreche nicht von den Gesundheitszentren, die von der PKK errichtet wurden, um die vertriebenen Yeziden im Gebirge zu versorgen; ich beziehe mich auf die etablierten, von der Regierung betriebenen Gesundheitszentren, die die Dörfer nördlich des Gebirges versorgen. Diese Gesundheitszentren sind Teil der Ninawa-Verwaltung und für die medizinische Versorgung einiger tausend yezidischer Familien verantwortlich. Die Verantwortlichen dieser Gesundheitszentren teilten mir jedoch ständig mit, dass es ihnen nicht erlaubt sei, Arzneimittellieferungen, die von der Ninawa-Regierung stammen, zu ihren Zentren zu befördern. Ich besuchte solche Zentren persönlich und sah, dass ihre Medizinschränke leer waren. Im Frühjahr sprach ich auch mit einem Mitglied des kurdischen Parlaments, das die Lager in Duhok besuchte, um die Bedürfnisse der Völkermordüberlebenden in Erfahrung zu bringen und wie man ihnen helfen und sie unterstützen könnte. Sie befragte den Lager-Manager über die Bedürfnisse der Menschen im Lager. Da er wusste, dass sie der PUK angehörte, antwortete er: „Nichts – sie haben alles, was sie brauchen“.

Die Gefahr des demografischen Wandels

So, wie der Plan zur Änderung der Demografie in Sheikhan, besteht auch für Shingal das Risiko, dass es Ziel eines vergleichbaren Projekts wird. Yeziden machen sich ernsthafte Sorgen darüber, dass die KRG ihnen die Rückkehr nach Hause verweigern und stattdessen versuchen wird sie innerhalb der Region Kurdistan anzusiedeln, wo es leichter ist sie zu beherrschen, und dass Shingal für die Ansiedlung von PDK-Loyalisten zurückgehalten wird, um es der PDK zu erleichtern die Region zu kontrollieren. Als ein „disputed territory“ [Territorium, auf das sowohl die KRG als auch die Zentralregierung Anspruch erheben; Anm. d. Ü.], das offiziell noch der Zentralregierung untersteht, ist es für Kurdistan viel leichter, dauerhafte Kontrolle über Shingal zu erlangen, wenn es mit Loyalisten kurdischer Parteien besiedelt wird, und nicht mit einer “unbeherrschbaren” Minderheit. Gleich nachdem die Massenvertreibung in Shingal im Jahre 2014 geschah, begannen Yeziden ihre Befürchtungen einer möglichen, langfristig geplanten Strategie zur Verhinderung ihrer Rückkehr zu äußern. Die von Yeziden gehegte Vermutung über einen Plan hochrangiger kurdischer Beamter, die Yeziden Shingals innerhalb Kurdistans umzusiedeln, haben sich bekräftigt, als ich und eine andere Ehrenamtliche von Yazda sich am 3. November 2015 mit Dr. Fuad Hussein, Stabschef im Präsidialamt der KRG, trafen. In unserem Treffen machte ich Dr. Fuad die Notwendigkeit des Wiederaufbaus Shingals deutlich, damit die Yeziden zurückkehren können. Dr. Fuad erzählte mir, dass dies zu teuer sei und sagte, dass “diese Menschen woanders umgesiedelt werden müssen”. Ich antwortete, dass es weniger kosten würde, die bestehenden Ortschaften wiederaufzubauen, als eine komplett neue Heimatstadt für die yezidische Bevölkerung zu bauen.

Sollte die kurdische Regierung weiterhin die Yeziden von der Rückkehr nach Shingal abhalten, wird die wirkliche Tragödie für die Yeziden der Verlust ihrer historischen Heimat sein, mit all ihren heiligen religiösen und kulturellen Orten.

Die Zukunft, die die Yeziden brauchen

In letzter Zeit haben kurdische Funktionäre verstärkt die PKK aufgerufen, Shingal zu “verlassen”. Die PKK selbst hat nur eine minimale Präsenz in Shingal. Was sie damit meinen, ist die Beendigung der PKK-Unterstützung für die yezidischen YBŞ-Einheiten, damit sich die YBŞ auflöst. Der kurdische Premierminister Nechirvan Barzani stellt dies als Vorbedingung für die Aufhebung der Blockade.

Indem er sagt, die PKK-Präsenz verhindere die friedliche Rückkehr nach Shingal, täuscht Nechirvan Barzani vor, die PDK habe keine andere Wahl bei der Verhängung der Blockade. Er sagt damit im Prinzip “wir sind bei der Schikanierung der Yeziden alternativlos, bis wir das von uns gewollte politische Resultat erlangen”. Selbstverständlich aber hat die PDK die Souveränität über ihr Handeln und könnte die Blockade heute aufheben, sei es ihnen nützlich oder nicht.

Nechirvan Barzanis Bemerkungen entbehren der Erkenntnis, dass die YBŞ-Einheiten primär aus Einheimischen bestehen, die sich aus Yeziden aus Shingal zusammensetzen – und um keine ausländische Kraft, die in das Land eingedrungen ist. (Die größte ausländische Macht in der Region ist derzeit die Rojava-Peschmerga, eine PDK-nahe Miliz, die von der PDK gegründet wurde und sich aus  syrischen Flüchtlingen aus Flüchtlingslagern in der Region Kurdistan rekrutiert). Obwohl ich nicht die YBŞ oder irgendeine andere Miliz unterstütze, oder irgendeine Partei, die den Milizen nahe stehen, glaube ich dennoch fest an das Selbstbestimmungsrecht der Yeziden, ihre politischen Beziehungen selbst zu wählen – das ist Demokratie. Diese Angelegenheit besteht aber aus viel mehr als nur dem Recht, eine Partei zu wählen. Was die Mehrheit der Yeziden jetzt will, ist nicht, eine Partei zu wählen, sondern ihre Selbstverwaltungsstruktur aufzubauen, die von allen großen Parteien unabhängig ist.

Die Mehrheit der Yeziden aus Shingal hat die Sorge, die PKK könnte die neue PDK in Shingal werden. Sie wollen nicht, dass die PKK die PDK als neues Hegemon in Shingal ersetzt – und damit das nächste Kapitel eines Ein-Parteien-Autoritarismus, welche die komplette Kontrolle über die Bevölkerung hält, einleitet. Die Yeziden haben aber die noch größere Sorge über eine Beendigung der Unterstützung von yezidischen Milizen durch die PKK, denn das würde die Rückkehr der PDK-Hegemonie bedeuten, was als das Worst-Case-Szenario betrachtet wird.

Daher begreifen die Yeziden, dass der PKK-Einfluss im Moment ein Gleichgewicht schafft; weder die PDK noch die PKK sind dafür stark genug, die volle Kontrolle über Shingal zu erlangen. Diese Verzögerung der Übernahme der vollen Kontrolle über Shingal durch eine externe Macht räumt den Yeziden Zeit ein, ihre eigene Form der lokalen Selbstverwaltung, Sicherheitstrukturen und Regierung zu planen, aber sie brauchen mehr Unterstützung und Beratung von den Vereinigten Staaten und europäischen Staaten um dies zu vollenden. Das ist es, was die überwältigende Mehrheit der Yeziden möchte. Und gerade nicht, ihre Sicherheit in die Hände von Parteien zu legen, die außerhalb Shingals wurzeln – Mächte, die versagt haben, sie in der Vergangenheit zu schützen – Yeziden wollen ihre Angelegenheiten selbst regeln, durch den Aufbau lokaler, unparteiischer Institutionen der Verwaltung und Sicherheit, die innerhalb des irakischen Rechtssystems offiziell anerkannt werden. Yeziden wollen Beziehungen zwischen dem Bezirk Shingal und der Region Kurdistan aufrechterhalten, aber sie bevorzugen es, die Aufsicht über die eigene Sicherheit und Infrastruktur selbst zu haben, gleichzeitig die Entwicklung eines Umfeldes politischer Vielfalt zu fördern. Und dies sind vernünftige Pläne.

Daher ist der Wunsch der meisten Yeziden, welche sich der YBŞ angeschlossen haben, nicht die pan-kurdische Ideologie der PKK zu unterstützen, sondern vielmehr die eigene Heimat zu verteidigen und die Fähigkeit der lokalen Selbstregierung zu stärken. Sie sehen keinen alternativen Förderer, der derzeit geeignet ist, yezidische Interessen zu vertreten. Für Yeziden bedeutet diese Angelegenheit keine Wahl der Loyalität zwischen Erbil versus Bagdad, sondern die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine Selbstverwaltung – etwas, was Erbil niemals tolerieren wird. Durch Zurückweisung der aus Erbil gestellten Ansprüche auf Shingal (die überwältigende Mehrheit der Yeziden aus Shingal sind sich darin einig) drücken Yeziden nicht eine Art der Bevorzugung für Beziehungen zu Bagdad aus. Vielmehr wollen sie innerhalb des staatlichen Rahmens agieren, der am besten die Möglichkeit für eine Selbstverwaltung bietet.

Die PDK hatte ein Jahrzehnt lang Zeit die Yeziden davon zu überzeugen, sich ihnen anzuschließen anstatt ihre eigene Selbstverwaltung unter Bagdad anzustreben. Sie scheiterten in diesem Bestreben, weil sie auf massive Einschüchterung setzten, statt guten Willen zu zeigen und das Wahlrecht der Yeziden zu respektieren. Als ich im Sommer 2015 in Shingal war, sprach ich mit Weizen- und Gerstebauern, welche die Flüchtlingscamps in Duhok verlassen hatten, um vorübergehend zu ihren Äckern nördlich des Gebirges zurückzukehren und die Felder zu bewirtschaften, die nach dem Genozid unbewirtschaftet blieben. Sie hofften, das Getreide verkaufen zu können und in die Camps zurückzukehren. Aber statt die Bemühungen der ärmlichen Familien zu fördern, haben Peshmerga-Führer, die nach der Befreiung der Region nördlich des Gebirges dort die lokale Verantwortung übernahmen, den Yeziden nicht erlaubt ihr Getreide nach Duhok zu bringen. (Dies fand vor dem Embargo statt, das in diesem Artikel beschrieben wurde.) Die Peshmerga-Führer zwangen die yezidischen Bauern dazu, ihr Getreide innerhalb Shingals unterhalb des Marktpreises an die Peshmergaführer selbst zu verkaufen, welche dann das Getreide in die Region Kurdistan brachten, um es mit großem Gewinn selbst zu veräußern. Dies ist nur ein Beispiel der Art von Korruption, unter der Shingal durch die Ein-Parteien-Herrschaft leidet, und es war herzzerreißend zu sehen, wie ein gebrochenes Volk fortwährend einer solchen Ausbeutung ausgesetzt ist, selbst nach einem Genozid. Heute sollte diesem Missbrauch ein Ende gesetzt werden. Das Verlangen der Yeziden nach Selbstverwaltung innerhalb des Rechtssystems des Irak sollte von allen Seiten respektiert werden. Die Wünsche der Yeziden sind nicht unvernünftig oder unrealistisch. Sie streben nicht danach, sich vom Irak abzuspalten und ihren eigenen Staat zu gründen. Sie wollen lediglich innerhalb des Rahmens der irakischen Verfassung agieren, um ihr historisches Siedlungsgebiet effektiv zu verwalten und zu schützen. Solche Zielsetzungen sind sinnvoll – wenn diese Minderheit in ihrer Heimat überleben soll – und mit regionaler und internationaler Unterstützung auch umsetzbar.

Eine neue Botschaft aus Kurdistan an die Yeziden

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die PDK den Wettbewerb um die yezidische Loyalität verloren. Das Beste, was die kurdische Regierung nun tun kann, ist es, sich den Yeziden mit einer neuen Botschaft anzunähern. Hier ist die Botschaft, die Präsident Barzani, die PDK und ganz Kurdistan an die Yeziden aus Shingal richten sollten:

  • Erstens, wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass wir euch in der Stunde der Not im Stich gelassen haben, und dass wir den Genozid an den Yeziden geschehen lassen haben. Wir möchten uns in Demut entschuldigen für die entsetzliche Vernachlässigung, die euer Volk schutzlos zurückließ. Wir hätten uns längst direkt bei euch entschuldigen müssen, und wir bedauern die lange Verzögerung dieser ehrlichen Botschaft. Entschuldigungen sind schmerzhaft, aber der Schmerz der Demut ist die Chance wert, das Vertrauen und Gutwilligkeit euch gegenüber wiederherzustellen.
  • Zweitens, wir erkennen an, dass es nicht ein Genozid war, der alle Kurden aufgrund ihrer Ethnie zum Ziel hatte, sondern der speziell Yeziden wegen ihrer religiösen Identität zum Ziel hatte. Als eure Geschwister stehen wir euch bei und wir erkennen an, dass allein ihr ins Visier eines speziellen Plans der Vernichtung und Sklaverei geraten seid.
  • Drittens, wir erkennen an, dass niemand außer ihr selbst das Recht habt, eure Führer für euch zu wählen. Shingal war schon immer eure historische Heimat und ihr habt das Recht, dessen Zukunft zu gestalten. Selbst nachdem wir euer Vertrauen enttäuscht haben, hoffen wir, dass ihr eine Zukunft mit Kurdistan anstrebt, aber wir akzeptieren, dass die Entscheidung bei euch liegt, und wir werden jede Art von Entscheidung respektieren und immer eine Freundschaft mit euch anstreben.
  • Viertens, wir werden das Wirtschaftsembargo sofort aufheben, das wir gegen eure Heimat Shingal über das das gesamte letzte Jahr hinweg verhängt haben. Wir erkennen an, dass unser Verhalten euch zusätzlich schikaniert und eure Genesung gehemmt hat, und dies nach dem schrecklichen Trauma des Genozids, das ihr erleben musstet. Wir haben nicht das Recht, euch zu sagen, nicht in eure Heimat zurückzukehren, oder eure Bevölkerung jahrelang in Flüchtlingscamps zu halten, während eure Kinder ohne Hoffnung auf eine Zukunft aufwachsen.
  • Fünftens, ohne Rücksicht darauf, welche politische Kraft ihr in eurer Heimat demokratisch wählt, versprechen wir euch nicht nur freien Durchgang mit persönlichen Gütern von der Region Kurdistan nach Shingal, sondern euch auch nach unseren besten Kräften beim Wiederaufbau zu unterstützen; dabei sehen wir ein, dass nach der Vernachlässigung unsererseits wir nun verantwortlich sind, zu tun was wir können, um euch beim Wiederaufbau zu helfen, ohne Rücksicht darauf, ob ihr eure politische Loyalität mit unseren Parteien teilt oder nicht.
  • Diese Positionen repräsentieren den guten Willen des kurdischen Volkes, das an Demokratie und Gerechtigkeit glaubt und diese Stellungnahme repräsentiert die kurdischen Werte der Fairness, Gleichheit und Rechtschaffenheit.

Der Zweck dieses Artikels war nicht, Kurdistan zu attackieren, sondern einige Probleme anzusprechen, die den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung in Kurdistan und Nordirak schwächen. Kurdistan ist ein wunderbarer Ort mit wunderbaren Menschen, die sehr hart für ihre Rechte und ihre Freiheiten gekämpft haben. Auf meiner ersten Reise nach Kurdistan vor vielen Jahren besuchte ich ein von Saddam gebautes Gefängnis, in dem er Kurden eingesperrt hat, die Kritik über ihre Situation äußerten. Dieses Gefängnis wurde in ein Museum umgewandelt und ich war bewegt von den Darstellungen menschlichen Leids, welches die Kurden unter der Herrschaft Saddams ertragen mussten, und von der Tapferkeit der Peshmerga, die so unermüdlich gearbeitet hat um ihr Volk zu befreien. Ehrlich zu sein in unserer Konfrontation mit neuen politischen Realitäten dieser Generation, und dem Versagen der Peschmerga in Kurdistan, bedeutet keine Leugnung des Heldentums der Peshmerga,  im Laufe der vielen Jahre, in denen sie Kurdistan verteidigt hat. Dennoch ist es notwendig, sich gegen das Baath-mäßige Verhalten der Asayish gegenüber Minderheiten zu stellen, sowie einem politischen System, das bei Missbrauch wegschaut.

Leider habe ich aufgrund meiner Ansichten in diesen Angelegenheiten einige wertvolle Freundschaften mit Kurden verloren, welche mir sehr ans Herzs gewachsen waren. Es ist traurig, diese Freundschaften zu verlieren, aber im Zusammenhang mit diesem Genozid kann ich keine Kompromisse mit der Wahrheit eingehen. In Amerika sagen wir “Freunde lassen Freunde nicht betrunken fahren”. Wir können Handlungen der Regierung in Kurdistan kritisieren, weil wir Kurdistan lieben und es gedeihen sehen wollen, genau so ist es unsere Pflicht, die Behandlung der Minderheiten in den Vereinigten Staaten zu kritisieren, viele Menschen in Amerika haben heute Rechte, die sie vor einigen Jahren nicht hatten. Diese Rechte sind immer dann gefährdet, wenn wir aufhören unsere Stimme zu erheben. Mein Engagement in der yezidischen Sache ist nicht abhängig von einer politischen Partei. Ich hatte nie eine Verbindung mit oder eine Nähe zu irgend einer politischen Gruppierung in Irak, Syrien oder der Türkei. Vielmehr betrachte ich den  Sachverhalt als Historiker, der versteht, wie fragil die Existenz einer Minderheit wie die der Yeziden ist, und wie real die Gefahr ist, dass die Yeziden aus der Region verschwinden könnten. Wir haben den nicht lange zurückliegenden Bevölkerungsrückgang vieler Minderheiten im Mittleren Osten miterlebt, nicht nur wegen der Bedrohung durch extremistische Gewalt, sondern auch durch die schädigende Politik des Nationalismus. Es ist lebensnotwendig, dass die Bürger Iraks und Kurdistans sich dafür einsetzen, dass die Yeziden nicht noch einmal Opfer der Politik werden. Ihr – das kurdische Volk – müsst eure Stimme erheben und eure Regierung wissen lassen, dass deren Behandlung der Yeziden inakzeptabel ist und euren Werten widerspricht.

*Matthew Barber ist Doktorand der Islamwissenschaften  an der Fakultät für Nahöstliche Sprachen und Kultur der Universität von Chicago. Er betrieb Feldforschungen in Kurdistan in der Zeit vor dem Völkermord an den Yeziden und arbeitete danach ein Jahr als Direktor von Yazda im Irak und Kurdistan. Barber verfasste mehrere Untersuchungen zur yezidischen Minderheit. Matthew Barber auf Twitter folgen

© ÊzîdîPress, 16. Februar 2017