Bassema Darwesh
Bassema Darwish (privat)


Duhok. Seit nunmehr zweieinhalb Jahren ist die Êzîdîn Bassema Darwish in einem kurdischen Gefängnis im Nordirak inhaftiert. Morgen soll in der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan (ARK) Erbil der Gerichtsprozess beginnen. Der Vorwurf gegen die Êzîdîn: Kollaboration mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Der 34-Jährigen wird vorgeworfen, vorsätzlich für den Tod von drei Peshmerga verantwortlich zu sein. Ein Prozess, der für eine êzîdîsche Frau nicht entwürdigender sein könnte – wird ihr, die selbst von Terroristen des IS entführt und versklavt wurde, nun vorgeworfen Unterstützerin des IS zu sein. Die Mutter wird sich unter den Anti-Terror-Gesetzen der ARK verantworten müssen. Darwish hingegen beteuert ihre Unschuld. Was ist geschehen?

Als die Terrormilz IS am 3. August 2014 die Shingal-Region stürmt, wird Darwish wie tausende weitere êzîdîsche Frauen und Mädchen gefangen genommen und versklavt. Es folgt ein Völkermord an der Zivilbevölkerung, Hunderttausende werden vertrieben, über 12.000 ÊzîdInnen werden getötet oder versklavt. Auch Darwishs Ehemann sowie 32 weitere Verwandte werden verschleppt, von denen bis heute jede Spur fehlt. Die IS-Terroristen verschleppen Darwish, die zu dem Zeitpunkt mit ihrem dritten Kind schwanger ist, in die Stadt Tal Afar, wo versklavte êzîdîsche Frauen versammelt, aussortiert und anschließend weitertransportiert werden. Darwish wird schließlich in ein Haus in dem Dorf Mafre in der Zummar-Region, nördlich von Tal Afar, gebracht. Wochenlang wird sie dort festgehalten.

Als Peshmerga-Truppen die Region Zumar zurückerobern, wird auch in dem Dorf Mafre heftig gekämpft. Ein Feuerwechsel zwischen den Peshmerga und den im Dorf verschanzten IS-Terroristen hält stundenlang an. Den Peshmerga gelingt es schließlich, in das Dorfzentrum vorzurücken, von wo aus sie weitere Schüsse der IS-Terroristen vernehmen. In dem Haus, in dem Darwish festgehalten wird, feuern die IS-Terroristen auf die Peshmerga-Einheiten. Die Peshmerga können die im Haus verschanzten IS-Terroristen töten, indem sie eine Handgranate in das Haus werfen. Kurz nach der Explosion stirbt auch der letzte IS-Terrorist, als Darwish um Hilfe ruft. Die Peshmerga fordern Darwish auf, nackt aus dem Haus zu treten, um sicherzustellen, dass sie keinen Sprengstoff um ihren Körper trägt. Ihr Körper ist übersät mit Verletzungen, die sie in Folge der Folter durch IS-Terroristen erlitt.  Was dann genau geschieht, ist umstritten. Die kurdischen Behörden und Verantwortlichen widersprechen sich mehrfach.

Die Peshmerga behaupten zunächst, Darwish hätte sie in das Haus gelockt und gesagt, das Haus sei unbewacht. Dort aber sollen sich IS-Terroristen versteckt haben, die dann drei Peshmerga töteten. Darwish verneint dies. Sie wurde, erklärt sie, an den Händen gefesselt und an einem Fahrzeug der Peshmerga festgemacht. Im Juni 2016 erklärten die Behörden gegenüber den Überlebenden aus der Familie von Darwish, sie sei unschuldig, zu einer Anklage würde es nicht kommen. Ein Augenzeuge erklärte zudem gegenüber UN-Vertretern, dass kein Peshmerga bei der Befreiung von Darwish zu Tode kam. Jedoch wurden drei Peshmerga zuvor in einem anderen Dorf von IS-Terroristen getötet. Einen Zusammenhang mit dem Fall Darwish hätte es nicht gegeben.

Darwish wird zusammen mit vier weiteren befreiten Êzîdînnen nach Duhok gebracht. Während die vier Frauen nach einem Verhör freigelassen werden, wird Darwish weiter festgehalten und in ein Frauengefängnis nach Erbil transportiert. Darwish erklärt, man habe ihr tagelang eine Binde um die Augen gewickelt und ihre Hände gefesselt. Nach mehreren Tagen des Verhörs soll sie gedrängt worden sein, vor dem Haftrichter mehrere Dokumente zu unterschreiben. Der Inhalt ist für Darwish unverständlich, da die Dokumente zwar in Kurdisch aber in arabischen Schriftzeichen verfasst waren, was in Shingal nicht verbreitet ist. Später stellt sich heraus, dass sie ein Geständnis unterschrieb.

Im Gefängnis in Erbil verwährt man ihr monatelang den Kontakt zur Familie sowie zu einem Rechtsbeistand. Erst nach einem Bericht von Amnesty International, die die Freilassung von Darwish fordern, lässt die kurdische Regierung zu, dass Familie, Aktivisten sowie Anwälte mit Darwish sprechen. Fast zwei Jahre nach ihrer Inhaftierung. Die kurdischen Behörden reagierten auf den Bericht von Amnesty mit Ablehnung. Der kurdische Vorsitzende der Behörde zur Evaluierung und Beantwortung internationaler Berichte, Dindar Zebari, ging noch einen Schritt weiter und behauptete ohne Beweise vorzulegen, Darwish„habe zuvor mit einem IS-Emir (Führer) kollaboriert“.

Morgen nun soll der Gerichtsprozess beginnen. Für die êzîdîsche Gemeinschaft, die die Inhaftierung scharf verurteilt, ist der Fall Derwish nur ein weiteres Glied in der Kette der Repressionen durch kurdische Behörden. Kein einziger der êzîdîschen Verantwortlichen oder Führer hat sich bis heute zu dem Fall von Darwish geäußert. Nur hinter verschlossenen Türen wagt man sich, die Regierung zu kritisieren. Zu groß ist die Angst, die Regierung könnte die Repressionen gegen die Êzîden verschärfen und die in den Flüchtlingslagern mittlerweile festgehaltenen êzîdîschen Flüchtlinge dafür bestrafen.

Die Anschuldigen gegen Darwish, sie habe sich innerhalb von zwei Monaten radikalisiert und sei zum IS „übergelaufen“, sind außergewöhnlich. Andere nach über zwei Jahren aus IS-Gefangenschaft befreite êzîdîsche Frauen und Mädchen zeigen derartige Verhaltensweisen nicht, trotz ihrer langen Gefangenschaft in der Sklaverei, wo sie täglichen Vergewaltigungen und Folter ausgesetzt waren. Die einzige Hoffnung die Darwish derzeit bleibt ist, auf Richter zu hoffen, die ihren Job ernst nehmen und ohne Trotz die Verhandlungen nach rechtsstaatlichen Prinzipien fair führen.

© EzidiPress, 20. Februar 2017