SdDErBagdad (Irak) – Die offiziellen Ergebnisse der vergangenen irakischen Parlamentswahl sind verkündet. Der bisherige und wahrscheinlich auch neue  Ministerpräsident Al-Maliki triumphiert mit seiner Rechtsstaat-Allianz die Wahl mit 92 gewonnen Parlamentssitzen. Auch die kurdischen Parteien freuen sich über einen Zuwachs von insgesamt fünf Parlamentssitzen.

Fünf Parlamentssitze haben hingegen die Êzîden verloren. Was vor der Wahl viele voraussagten, ist nun traurige Realität. Die bisherige Zahl der êzîdîschstämmigen Abgeordneten sankt von sieben auf zwei. Grund hierfür war die große Anzahl an êzîdîschen Kandidaten, was zu einer Stimmensplittung führte. Über 70 êzîdîsche Kandidaten hatten sich für verschiedenste, mehrheitlich kurdische, Parteien aufgestellt. 65 Kandidaten alleine über die Listen der PDK (Demokratische Partei Kurdistan) und der PUK (Patriotische Union Kurdistan). Die Zahl der êzîdîschen Kandidaten betrug bei den Wahlen von 2009/2010 noch 40. Besonders umkämpft war die Region Shingal, während die êzîdîschen Kandidaten in den zur Autonomen Region Kurdistan gehörenden Regionen wie bspw. Duhok sang und klanglos den Einzug verpassten. In der gesamten Region Shingal leben über 500.000 Êzîden und damit über 50% der Êzîden weltweit. In den offiziellen Gebieten der kurdischen Autonomieregion leben rund 55.000 Êzîden.

Die von Êzîden geführte Partei Islah – Êzîdîsche Bewegung für Reform und Fortschritt – konnte trotz eines massiven Stimmeinbruches von über 40% zum dritten Mal in Folge nach 2006 und 2010 mit 14910 Stimmen den Quotensitz für Êzîden gewinnen. Sie wird Sheikh Hacî ins Parlament entsenden, der den bisherigen Islah Abgeordneten Amîn Farhan Jeju ersetzen wird.

Angetreten für die PDK in Ninawa ist die êzîdîsche Politikerin und Juristin Viyan Dexîl. Auf Listenplatz fünf ist sie eine von sechs Kandidaten der PDK, die für die Region Ninawa ins irakische Parlament einziehen.

Es ist der zweite große Rückschlag für Êzîden binnen weniger Monate, nachdem auch der letzte êzîdîsche Abgeordnete im kurdischen Parlament nach den Wahlen Ende vergangenen Jahres seinen Sitz verlor. Sheikh Shamo, der für die PDK antrat und den Großteil der êzîdîschen Stimmen auf sich vereinigen konnte, musste seinen Listenplatz aufgrund der Frauenquote abgeben. Kein Êzîdî ist damit im kurdischen Parlament mehr vertreten, da ihnen auch keine Quotensitze zugeordnet sind. Die Turkmenen beispielsweise erhielten fünf Quotensitze.

In der irakischen Verfassung wurden die Êzîden auf Nachdruck von Mîr Tahsîn Beg, dem weltlichen Oberhaupt der Êzîden, als religiöse Minderheit anerkannt. Das Oberste Gericht des Iraks hat in seiner Entscheidung von 2010 festgehalten, dass das bis dato gültige Wahlgesetz die Êzîden diskriminiere, da ihnen nur ein Quotensitz zugesprochen wird. Die Zahl der Parlamentssitze für Minderheiten müsse sich jedoch an ihrer Gesamtzahl im Irak orientieren und je 100.000 Anhängern ein Parlamentssitz zugesichert werden. Trotz diesen Beschlusses verabschiedete das irakische Parlament mithilfe der kurdischen Parteien das neue Wahlgesetz vor einigen Monaten, ohne die kompensatorischen Minderheitssitze für Shabak, Sabäer und Êzîden anzupassen. Die Gesamtzahl der Êzîden im Irak beträgt vorsichtigen Schätzungen zufolge über 500.000, damit hätten die Êzîden einen Anspruch auf mind. fünf Parlamentssitze.

In der Verfassung der kurdischen Autonomieregion hingegen werden sie nicht als Minderheit anerkannt, auch wenn ihnen die Religionsfreiheit und Minderheitsrechte in den Art. 6, 19 Abs. 9 und 30 garantiert weden. Minderheitsitze im kurdischen Parlament werden nur ethnischen Minderheiten zugesprochen, so der armenischen, assyrisch-aramäischen und turkmenischen Bevölkerung. Êzîden gehören zur kurdischen Ethnie, einen Parlamentssitz für religiöse Minderheiten sieht das kurdische Parlament jedoch nicht vor. Von den ehemals drei êzîdîschen Abgeordneten ist keiner mehr vertreten.

Êzîden unterliegen in den Gebieten der kurdischen Autonomieregion einer nicht-staatlichen Diskriminierung. Bei der Vergabe von Arbeitsplätzen werden Êzîden zweitrangig behandelt, auch ist ein Verkauf von Waren nicht immer gewährleistet, da konservative Muslime die von Êzîden hergestellten Waren als „heram“ (unrein) betrachten. Sie sind daher gezwungen in Bagdad und Umgebung nach Arbeit zu suchen, wo sie meist in Spirituosenläden arbeiten, die immer wieder Ziel von Übergriffen seitens radikaler Extremisten werden. So wurden im vergangen und in diesem Jahr bereits dutzende Êzîden getötet. Immer wieder werden die Êzîden von kurdischen Islamgelehrten diffamiert und denunziert, teilweise wird ihnen ihre kurdische Identität abgesprochen. Auf irakischen Territorium unterliegen die Êzîden auch einer staatlichen Diskriminierung.

Eine Interessenvertretung in der zunehmend konservativen Mehrheitsgesellschaft des Iraks und Kurdistans spielt daher eine immer wichtigere Rolle. Êzîdîsche Verantwortliche sind daher gut beraten, auf eine Quotenregelung auch in Kurdistan zu beharren und weiterhin gegen die Bestimmungen des irakischen Wahlgesetzes zu klagen, wenn verhindert werden soll, dass die Êzîden endgültig aus ihrer Heimat Kurdistan flüchten. Die gesellschaftlichen Vorbehalte gegen die Êzîden müssen durch rechtsstaatliche Mittel korrigiert werden, gleichzeitig muss den Êzîden Einfluss auf die Bestimmung derartiger Mittel zugänglich gemacht werden, damit auch sie etwa bei Gesetzentwürfen und Beschlüssen Mitspracherecht haben.

Êzîden der verschiedensten Parteien müssen ihre Einzelinteressen hinter die der Mehrheit stellen. Die letzte Wahl ist ein nicht zu überhörendes Warnsignal gewesen. Eine derartig massenhafte Aufstellung von Kandidaten war kontraproduktiv und ist ursächlich für den erneuten Rückschlag der Êzîden. Die 20.000$ Werbepauschale der großen Parteien für die Kandidaten, deren Verbleib nicht belegt werden muss, wird die Êzîden noch teuer zu stehen kommen. Auch die Ruhigstellung êzîdîscher Wortführer durch Sachgüter sollte der êzîdîschen Gesellschaft nicht vorenthalten bleiben.

êzîdîPress, 20.05.2013