Kocho. Fast fünf Jahre nach dem Beginn des Völkermordes an den Êzîden nehmen UN-Ermittler und irakische Behörden heute ihre Arbeit zur Exhumierung der Massengräber auf. Zuvor mussten die geplanten Exhumierungen Anfang des Jahres verschoben werden. Das erste Massengrab soll heute in dem Dorf Kocho im Süden der Shingal-Region geöffnet werden. Dort tötete die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) vom 3. August 2014 an bis zu 600 Êzîden und verschleppte bis zu 1.000 Frauen und Kinder. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad stammt aus Kocho.

In einem ersten Bericht teilten irakische Behörden dem Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte mit, dass in den ehemaligen vom IS kontrollierten Gebieten bisher 202 Massengräber mit bis zu 12.000 Opfern lokalisiert werden konnten. Die meisten davon wurden in der Provinz Ninawa, zu der die Shingal-Region gehört, gefunden. In Shingal selbst konnten bisher rund 70 Massengräber entdeckt werden. Anhand dieser Zahl lässt sich die Tötungswut des IS gegen die Êzîden erahnen: in der Shingal-Region existieren damit mehr Massengräber als in den Provinzen Anbar und Kirkuk zusammen.

Bilder von getöteten oder entführten Êzîden in der ehemaligen Schule in Kocho (14. März, L. Beam)

In diesen Massengräber in Shingal vermuten viele Êzîden ihre seit Jahren vermissten Angehörigen. In Kocho haben sich heute vor allem Frauen, die aus der IS-Gefangenschaft befreit werden konnten, versammelt, um bei der Arbeit der UN-Ermittler wohlmöglich ihre Angehörigen anhand persönlicher Gegenstände schnell zu identifizieren. Eindeutige Ergebnisse werden die DNA-Untersuchungen liefern, die von den Überresten der Opfer mit jenen Personen abgeglichen werden, die ihre Angehörigen vermisst gemeldet haben.

Die Dokumentierung der Massengräber soll auch bei möglichen Verfahren wegen Völkermordes gegen IS-Mitglieder als Beweise vor nationalen Gerichten dienen. Viele Êzîden erhoffen sich dadurch, dass IS-Mitglieder auch außerhalb des Iraks wegen Völkermordes angeklagt werden oder ein UN-Sondertribunal errichtet werden könnte.

Drei der noch vermissten oder bereits getöteten êzîdîschen Kinder aus dem Dorf Kocho mit der Angabe ihres Geburtsjahres (14. März, L. Beam)

In der ehemaligen Schule des Dorfes haben Angehörige und Aktivisten hunderte Bilder der getöteten oder entführten ÊzîdInnen aufgestellt, unter ihnen viele Kinder. Sie sollen an das Massaker von Kocho und die systematische Verschleppung der Êzîden aus Kocho erinnern.