Schiitische und êzîdîsche Kämpfer haben in Shingal mehrere Dörfer zurückerobert (25. Mai 2017)


Kocho. Irakische Milizen haben am Donnerstag mit Unterstützung der irakischen Luftwaffe zahlreiche Dörfer im Süden der nordirakischen Region Shingal befreit. Darunter auch die bis dahin vom „Islamischen Staat“ (IS) besetzten êzîdîschen Dörfer Kocho, Hatamiya und Qabusiya im Südosten der gleichnamigen Stadt Shingal. Zuvor befreiten die schiitischen Milizen die Dörfer Tel Benat und Tel Qeseb.

Über 100 êzîdîsche Kämpfer beteiligten sich an der Befreiung der êzîdîschen Dörfer. Innerhalb der schiitischen Milizen wurde dafür die „Lalish“-Einheit gegründet, die vom ehemaligen Bürgermeister des Dorfes Kocho Naif Jaso kommandiert wird und sich aus desertierten PDK-Peshmerga zusammensetzt. Gegenüber ÊzîdîPress bestätigte Jaso die Befreiung Kochos, das kaum wie ein anderes Dorf für die Gräueltaten der IS-Terrormiliz steht. 71 Verwandte Jasos wurden in Kocho von IS-Terroristen ermordet, darunter vier seiner Söhne. Ingesamt wurden alleine in Kocho 600 männliche Êzîden getötet und über 1.000 Frauen und Kinder verschleppt. Die êzîdîsche UN-Sonderbotschafterin und Genozid-Überlebende Nadia Murad stammt aus Kocho und war eine der Frauen, die entführt und versklavt wurde. Sie bezeichnete die Befreiung Kochos als einen „Sieg der Menscheit über das Böse“. Als êzîdîsche Kämpfer und Schiiten in Kocho einmarschieren, heben sie Bilder Nadia Murads in die Höhe.

Der Vormarsch der irakischen Schiiten-Milizen soll in den kommenden Wochen forgesetzt werden. Auch die letzten verbleibenden êzîdîschen Dörfer Siba Sheikh Khidir und Gir Izer im Süden der Shingal-Region sollen befreit werden, so Jaso. Die Führer der schiitischen Milizen erklärten, man werde die Kontrolle über die zurückeroberten êzîdîschen Dörfer an die Êzîden übergeben. Fraglich bleibt, welche Êzîden damit gemeint sind.

Die kurdische Führung im Nordirak beklagte sich zuvor über die Offensive der schiitischen Milizen, die um den Verlust des Südens fürchtet. Sie missbrauchte in der Vergangenheit die besetzten Dörfer und die Aussicht auf eine Befreiung als Druckmittel gegenüber den êzîdîschen Verantwortlichen. Die Befreiung des Südens haben sich nun die schiitischen Milizen auf die Fahne geschrieben und damit den Peshmerga und ihrem Präsidenten Masoud Barzani die Möglichkeit genommen, sich erneut als „Befreier der Êzîden“ zu inszenieren.

Die Rückeroberungen der Dörfer durch schiitische Milizen wird die politische Situation in Shingal jedoch noch komplexer machen und stößt bei vielen êzîdîchen Beobachtern auf Skepsis. Befürchtet wird, dass Bagdad die Kontrolle über den Süden für sich beanspruchen wird und sich im Machtkampf um die Region stärker als zuvor einschaltet. Dies könnte erneut zu einer Pattsituation führen, die bereits vor dem Völkermord an den Êzîden in Shingal herrschte und zu einer Marginalisierung der Region führte.

Der innerkurdische Machtkampf im Norden, die türkischen Luftschläge im Gebirge und nun die Partizipation der schiitischen Milizen Bagdads im Süden werden die Region auch nach vollständiger Befreiung praktisch unbewohnbar machen und eine Rückkehr der êzîdîschen Flüchtlinge weiter verzögern.

© ÊzîdîPress, 26. Mai 2017