Neujahrszeremonie im êzîdîschen Tempel Lalish am Vorabend des Neujahrs 2017 (Christophe Simon/AFP)
Neujahrszeremonie im êzîdîschen Tempel Lalish am Vorabend des Neujahrs 2017 (Christophe Simon/AFP)


Lalish. Die Ur-Perle explodierte, aus ihrem Staub entstanden Galaxien und Planeten formten sich. Am ersten Mittwoch im April erreichte das Licht der Sonne erstmals die Erde und Ezda (Gott) vollendete die Schöpfung der Welt. So heißt es im êzîdîschen Schöpfungsmythos. Weltweit feiern die Êzîden heute ihr Neujahr und den Frühlingsbeginn. Eingeläutet wurde das neue Jahr bereits gestern Abend mit einer großen Zeremonie am Hauptheiligtum Lalish, wo alljährlich unzählige Lichter entzündet werden. Das êzîdîsche Neujahr findet stets am ersten Mittwoch im April nach julianischem Kalender statt, sobald die ersten Sonnenstrahlen über dem Tempel erstrahlen. Es ist eines der wichtigsten und zugleich ältesten Feste der êzîdîschen Gemeinschaft.

Erstmals seit dem Völkermord der Terrormiliz IS haben sich zahlreiche Êzîden im Lalish-Tal versammelt um gemeinsam den Beginn des Neujahrs zu begrüßen. Unter die Freude mischt sich aber immer wieder sichtlich Trauer. Hier in Lalish, wo in den vergangenen Jahren vor dem Völkermord die gesamte Familie traditionell feierte, fehlen nicht selten gleich mehrere Familienmitglieder, die entweder getötet oder verschleppt wurden. Und so wird trotz des feierlichen Anlasses all jenen ÊzîdInnen gedacht, die noch immer in Gefangenschaft des IS festgehalten werden. Die Zusammenkunft der Êzîden in Lalish, der Wiederaufbau der zerstörten Dörfer, Gemeinden und Tempel aber lässt die Êzîden im Irak auf bessere Zeiten hoffen. Der „Rote Mittwoch“ ist auch ein Fest der neuen Zuversicht und Wünsche.

Am „Roten Mittwoch“, so heißt es in der êzîdîschen Mythologie, vollendete Gott die Schöpfung der Welt und die ersten Sonnenstrahlen trafen auf die Erde. Das Firmament färbte sich daraufhin rot, woher sich der Name unter anderem herleitet. Die am Neujahr bunt gefärbten Eier erinnern an die Ur-Perle (Dur), aus der das materielle Sein erschaffen wurde und symbolisieren die aufblühende Natur. Es ist daher auch ein Frühlingsfest. Das Neujahr, für Êzîden stets der erste Tag im April und Jahresbeginn, steht auch im Zeichen des obersten der sieben Erzengel Tawisî Melek, der die Kernlehre der Religion bildet. In diesem Monat findet traditionell keine Hochzeit statt. Auch soll der Boden, Acker und Weiden, nicht bewirtschaftet werden, damit die Natur sich erholen kann. Die am Roten Mittwoch von Würdenträgern verteilten Frühlings-Armbänder (Bazinbar) sind ein bei Êzîden oft zu sehendes Symbol.

Zahlreiche Bräuche sind mit dem êzîdîschen Neujahr verbunden, das enge Parallelen mit dem babylonischen Akitu-Neujahrsfest aufweist. In Lalish entzünden die Êzîden am Abend tausende von heiligen Lichter, Çira genannt, mit denen sie das Neujahr in Empfang nehmen. In Deutschland organisieren zumeist Vereine die Feierlichkeiten, wo sich die Êzîden zusammenfinden und gemeinsam feiern. Auch in den USA, Kanada, Russland, Georgien und Armenien feiern die Êzîden heute.

© ÊzîdîPress, 19. April 2017