Qewl-Fälschungen Teil II

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Wir haben in der Vergangenheit bereits einmal auf Qewl-Fälschungen[1], die von bestimmten kurdisch-politischen Kreisen verfasst und publiziert worden sind, hingewiesen. Bei diesen Fälschungen haben wir es mit einem bewussten Täuschungsversuch der Êzîden und einem Schädigungsversuch des Êzîdentums zu tun. Hier wurden nachweislich religiöse wie wissenschaftliche Fakten verzerrt, die ein kalkuliertes Ziel zum Zwecke hatten: die Manipulation des êzîdîschen Volkes und einer politischen Selbststilisierung.

Wir sind bei unseren Nachforschungen auf weitere Qewls gestoßen, die ebenfalls gefälscht und in Umlauf gebracht wurden. Diesen Fälschlungen liegt jedoch keine politische Motivation zugrunde, auch war die Intention keine böswillige, die wie die bereits genannten Qewlfälschungen eine Manipulation der êzîdîchen Gesellschaft zum Ziel hatte.

Dr. Xelîl Cindî Reşo

Zunächst möchten wir Gelehrten und Forschern wie Mela Xelîl, Ehmed Mela Xelîl und Dr. Xelîl Cindî unsere höchste Wertschätzung für ihre geleistete Arbeit aussprechen. Nichts liegt uns ferner, als jene Personen hier negativ darzustellen. Insbesondere dem vor zehn Jahren verstorbenen Ehmed Mela Xelîl und seinem Vater gilt unser Dank und Respekt. Dr. Xelîl Cindî hat mit seinen Publikationen einen erheblichen und wertvollen Beitrag zur Erforschung des Êzîdentum geleistet. Dr. Xelîl Cindî war es schließlich auch, der vor rund 40 Jahren zusammen mit anderen êzîdîschen Studenten[2] den Anstoß für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Êzîdentum gab. Gleichzeitig läutete unter anderem Dr. Xelîl Cindî Reşo die erste Selbstöffnung nach Jahrhunderten der Isolation in der êzîdîschen Historie ein. Auch Wissenschaftler sind nicht perfekt, daher ist die hier geübte Kritik keinesfalls gegen die Person Dr. Xelîl Cindîs oder seiner Arbeit als solches gerichtet.

Neun verschollene êzîdische Texte wiederendeckt?

Bavê Çawîş Pîr Çerût Pîr Îlyas Pîrê Îsêbiya (Drower)

In seinem zweiteiligen Buch aus dem Jahr 2004 mit dem Titel „Perin ji edebên dînê Êzîdiyan“ veröffentliche Dr. Xelîl neun bis dahin unbekannte Qewls. Sein Werk ist als PDF im Internet verfügbar[3]. Es umfasst über 1.000 Seiten und ist eines der umfangreichsten Werke bezüglich der Êzîden. Die hier geübte Kritik bezieht sich daher nur auf die folgend genannten Inhalte, nicht auf das Werk als Ganzes.

Die besagten bis dato unbekannten neun „heilige Texte“ wurden Dr. Xelîl von dem muslimischen Gelehrten Ehemd Mela Xelîl, der auch unter den Pseudonymen Ebû Dasin und B. Ş. Dilokvan bekannt ist, zugesandt. Ehmed Mela Xelîl gab als Quelle wiederum seinen Vater Mela Xelîl an, der unter dem Pseudonym Mişextî bekannt ist, welcher sich wiederum auf den êzîdîschen Gelehrten Bavê Çawîş Pîr Çerût berief, von dem er diese angeblich „heiligen Texte“ auswendig lernte[4]. Mela Xelîl und Bavê Çawîş Pîr Çerût waren eng befreundet. Es handelt sich dabei um folgende neun Texte:

  1. Qewlê Mersûma Barî
  2. Qewlê Şêxê Sirrê
  3. Qewlê Melik Salim
  4. Qewlê Mûsa Pêxember
  5. Qewlê Pîr Hemedê Boz
  6. Qewlê Birhîm Pêxember
  7. Qewlê Xidirê Zînde
  8. Qewlê Mîr Mihemedê Kurdî
  9. Qesîda Şêx Cêncer

Schnell stellten sich die besagten Texte als nicht authentisch heraus. Keiner der êzîdîschen Würdenträger und Gelehrten in der Heimat noch die eigens dafür ausgebildeten Qewl-Experten die Qewals sowie Gelehrte aus der Diaspora hatten von diesen Texten gehört. Das Rechtfertigungsargument, jene Texte seien nach dem Tod von Pîr Çerût im Jahre 1947 in Vergessenheit geraten, war nicht haltbar. Auch entsprechende Textabschnitte der besagten Texte widersprechen dem Inhalt authentischer Überlieferungen. Weiterhin werden in diesen Texten „Heilige“ genannt, die in keinem weiteren Qewl benannt und keinem Gelehrten bekannt sind und im Heiligtum auch keine heilige Stätte haben, was sonst üblich ist. Auf die genauen Inhalte dieser Texte einzugehen ist daher überflüssig. Für Interessierte empfiehlt sich der Artikel von Bedelê Feqîr Hecî[5]. Wir wollen mit unserer Publikation die Verbreitung falscher Informationen verhindern und warnen daher vor den Folgen jener Machenschaften.

Feqîr Hecî Şemo, Vater von Bedel Şemo

Die Intention jener Publikationen war keine böswillige. Auch ist keine boshafte Absicht zu erkennen. Dennoch stellen derartige Fälschungen eine Beleidigung der êzîdîschen Religion dar und lassen einen gewissen Respekt vor den heiligen Überlieferungen der Êzîden vermissen. Auch wenn jenen Texten von Wissenschaftlern und Gelehrten weiterhin keine Beachtung geschenkt wurde, so gibt es Personen, die sich auf diese Texte bei ihren Arbeiten berufen. So hat zum Beispiel ein êzîdischer Akademiker in einem großen Seminar über die Feste der Êzîden im Yezidischen Forum e.V. in Oldenburg vor zwei Jahren sich an einigen Strophen dieser gefälschten Qewls bedient[6].

Die Frage, wie denn Qewl-Fälschungen zu erkennen sind, wenn ohnehin bisher alles mündlich überliefert wird, drängt sich hier unweigerlich auf. Der êzîdîsche Gelehrte Bedelê Feqîr Hecî, dessen Vater Feqîr Hecî als Quelle vieler Publikationen über die êzîdîsche Religion gilt, hat ein System zur Erkennung von Fälschungen entwickelt[7]. Dieses System wurde von Geistlichen bestätigt.

êzîdîPress, 02.07.2013


[1] Siehe „Qewl-Fälschungen“; http://ezidipress.com/?p=211; ÊzîdîPress, 19.09.2012.

[2] Haider Nizam, Pîr Xidir Silêman und Mamo Ferman waren die anderen drei Studenten

[4] Feqîr Hecî, Bedel: „Çawetiya naskirina têkistên rast û dirustên diyaneta Êzdiyan“, in Şêx Fexrê Adiyan – Fîlosof û xasê ola Êzdiyatiyê“, Dengê Êzîdiyan, Oldenburg 2009, S. 129-132.

[5] Ebd. S. 124-153.

[6] Der Artikel des Referenten befindet sich in unserem Archiv und ist bis bisher unveröffentlicht. Wir hoffen, dass eine weitere Verbreitung unterbleibt.

[7] Feqîr Hecî, Bedel: „Çawetiya naskirina têkistên rast û dirustên diyaneta Êzdiyan“, in Şêx Fexrê Adiyan – Fîlosof û xasê ola Êzdiyatiyê“, Dengê Êzîdiyan, Oldenburg 2009, S. 129-132.