München. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mordes und Kriegsverbrechen steht in München die 27-jährige Deutsche Jennifer W. derzeit vor Gericht. Der am Dienstag begonnene Prozess wurde kurz nach Beginn wegen neuer Beweise vertagt. Im Dezember 2018 erhob die Generalbundesanwaltschaft (68/2018) vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München Anklage. Die Mutter des von W. zu Tode gequälten Mädchens tritt als Nebenklägerin im Prozess auf. Neben den deutschen Strafverteidigern Natalie von Wistinghausen und Wolfgang Bendler wird Amal Clooney der Mutter beratend zur Seite stehen.
Ende 2014 habe Jennifer W. die Bundesrepublik verlassen, um sich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Irak anzuschließen. Von Juni 2015 bis September 2016 sei sie in den irakischen Städten Mossul und Falludscha in der „Sittenpolizei“ des Islamischen Staates tätig gewesen. Bewaffnet mit einer Kalaschnikow, einer Pistole und einem Sprengstoffgürtel habe W. Frauen in den Abendstunden in Parks nachgesucht und sie eingeschüchtert, sich den vom IS aufgestellten Verhaltensregeln zu unterwerfen. Für ihren Dienst habe die Deutsche vom IS monatlich 70 bis 100 US-Dollar erhalten, heißt es in der Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft.
Im Sommer 2015 habe W. dann zusammen mit ihrem Ehemann im Zuge der Versklavung tausender ÊzîdInnen aus der nordirakischen Region Shingal ein fünfjähriges, êzîdîsches Mädchen zusammen mit der Kindesmutter gekauft und beide in ihrem Haushalt als Sklaven festgehalten. Nachdem das Mädchen in Folge einer Erkrankung ihr Bett eingenässt hatte, bestrafte der Ehemann von Jennifer W. das Mädchen, indem er das Kind im Freien ankettete und „ließ das Kind dort bei sengender Hitze qualvoll verdursten“, heißt es in der Anklageschrift weiter. Jennifer W. habe nichts zur Rettung des Kindes unternommen, noch habe sie versucht ihren Ehemann vom Vorhaben abzubringen.
Im Januar 2016 versuchte W. dann in der türkischen Botschaft in Ankara neue Ausweispapiere zu beantragen. Beim Verlassen der Botschaft wurde sie verhaftet und später nach Deutschland abgeschoben. In Deutschland lebte sie dann zunächst in Freiheit, ohne Anklage. Die deutschen Behörden hatten die 27-Jährige jedoch ins Visier genommen. Im Sommer 2018 versuchte W. dann erneut nach Syrien zu reisen, um sich wieder der Terrormiliz IS anzuschließen. Auf der Fahrt in die Türkei erzählte sie ihrem Fahrer, einem V-Mann des Staatsschutzes, von dem getöteten êzîdîschen Mädchen. In München endete die Fahrt vorzeitig, W. wurde verhaftet.
Amal Clooney teilte mit, dass Jennifer W. nach Aussagen der zu Tode gequälten Kindesmutter auch an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weiteren Morden, am Menschenhandel, Folter sowie Freiheitsberaubung beteiligt gewesen sei.
Friedensnobelpreisträgerin und UN-Botschafterin Nadia Murad sagte, der Prozess sei „für alle yezidischen Überlebenden wichtig. Jeder der Überlebenden wartet darauf, dass die Täter für ihre Verbrechen gegen die Yeziden angeklagt und verurteilt werden“. Der Prozess sei für sie und die êzîdîsche Gemeinschaft ein „bedeutender Moment“.
Im August 2014 verübte die Terrormiliz IS einen Völkermord an der Zivilbevölkerung der Shingal-Region, dem Hauptsiedlungsgebiet der êzîdîschen Minderheit. Bis zu 7.000 êzîdîsche Frauen und Kinder wurden planvoll vom IS versklavt und systematisch vergewaltigt. Darunter auch Mädchen im Alter von neun Jahren. Wenig später bestätigte der IS sein Handeln nicht nur, sondern lobte sich auch für die „Wiedereinführung der islamischen Tradition der Sklaverei“ im eigenen Magazin „Dabiq„.
Weibliche Mitglieder der Terrormiliz waren nach Angaben befreiter ÊzîdInnen aktiv an den Versklavungen, Vergewaltigungen, der Folter, dem Missbrauch und dem Menschenhandel mit êzîdîschen Frauen und Kindern beteiligt. Oftmals wird diesen aber eine untergeordnete Rolle in der Terrormiliz sowohl medial als auch juristisch zugesagt, was für viele Täterinnen des IS mildernde Umstände vor Gerichten schafft. Auch die Verteidigung von W. wird ihre Verteidigungsstrategie vermutlich auf dieses Bild stützen. Eine Untersuchung der UN zeigt, dass alleine aufgrund ihres weiblichen Geschlechtes, IS-Täterinnen vor nationalen Gerichten den Bonus von „manipulierten Anhängern“ erhalten. Dieser juristische Bonus, der für teils absurde Urteile sorgt, ist für êzîdîsche Frauen und Kinder, die vielfach von weiblichen IS-Terroristinnen misshandelt wurden, ein Schlag ins Gesicht.
Der Prozess in München nährt nun die Hoffnung, dass den êzîdîschen Völkermord-Opfern nach Jahren ein wenig Gerechtigkeit widerfährt. Bei einer Verurteilung droht W. eine lebenslange Haftstrafe. Sie, die menschenverachtende Taten begangen und auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland selbst andere radikalisierte und zum IS zurückkehren wollte, verbarg zum Prozessauftakt ihr Gesicht. Jenes Gesicht, das das fünfjährige Mädchen, die von W. und ihrem Ehemann zu Tode gequälte wurde, wohl zuletzt gesehen hat.