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[D]uhok. Die südkurdischen Nachrichtenagenturen BasNews und Rûdaw, beide regierungsnahe Medien, erklären die êzîdîschen Widerstandskämpfer der HPŞ zu Kollaborateuren der Schiiten im Irak, weil sie finanzielle und logistische Hilfe für den Kampf gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) in Shingal von der irakischen Zentralregierung in Anspruch nehmen. Verräter, denn die schiitischen Milizen stehen mit den Peshmerga und der kurdischen Regierung auf Kriegsfuß, wie sich an mehreren territorialen Konflikten immer wieder zeigt.
Über 1.000 Kämpfer der HPŞ sind im Rahmen der sog. Hashdi al-Shabi, der Generalen Mobilmachung gegen den IS im Irak, von der Zentralregierung registriert und entsprechend bewaffnet worden, im Rahmen dessen auch sunnitische Stämme, die sich gegen den IS auflehnen, unterstützt werden. Zuvor verweigerte die kurdische Regierung monatelang Lieferungen schwerer Waffen an die HPŞ-Einheiten, auch eine Offensive der Peshmerga blieb zunächst aus, um den politischen Druck auf die êzîdîschen Kämpfer zu erhöhen. Mehrere Ersuchen der HPŞ-Verantwortlichen, allen voran Anfragen von Oberkommandeur Heydar Shesho, werden abgelehnt. Grund: Die êzîdîschen Kämpfer sind nicht bereit, sich dem Peshmerga-Ministerium zu unterwerfen und fortan als Miliz der Regierungspartei PDK zu agieren.
Heydar Shesho gelingt es in Gesprächen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi eine Einigung zu erzielen, um den êzîdîschen Widerstand weiter aufrechterhalten zu können.
Kollaborateure der Schiiten
Rûdaw titelt schließlich: „Tausend êzîdîsche Kämpfer schließen sich der Hashdi Shabi an“, mit anderen Worten: Haben sich den schiitischen Milizen angeschlossen. Jener Miliz, die mit den Peshmerga auf Kriegsfuß steht, obgleich die HPŞ kein Teil der schiitischen Milizen ist, wie Oberkommandeur Heydar Shesho in einer Presseerklärung erklärt.
„Die HPŞ-Einheit ist die offizielle Verteidigungseinheit der Êzîden in Shingal. Wir werden mit allen anderen Einheiten kooperieren, die gegen den IS und für die Befreiung Shingals kämpfen. Wir haben alle dieselbe Absicht; die PKK, die Peshmerga und unsere Kämpfer“, teilt Shesho Pressevertretern in Shingal mit. Weiter heißt es: „Wir sind nicht in Feindschaft zu irgendwem entstanden, sondern um unsere Leute und unsere Heimat zu verteidigen“.
Der negativ besetze kurdische Begriff „Çekdar“, dt. bewaffneter Angreifer, der für die Schergen des IS gebraucht wird, wird von Rûdaw zur Beschreibung der êzîdîschden Kämpfer verwendet.
„Schiitische Kleriker zahlen 1,6 Millionen Dinar an Yezidische Kämpfer“, heißt es auf BasNews. Nicht etwa, dass das Geld von der Zentralregierung stammt. Von derselben Regierung, die monatlich Abermillionen aus derselben Kasse an die Regionalregierung Kurdistans zahlt, ihre Zahlungen aber immer wieder eingestellt, um Erbil politisch unter Druck zu setzen.
Kampf um politische Vorherrschaft
Die PDK fürchtet um ihren Einfluss über Êzîden und die Region, ihre Peshmerga-Truppen flohen am 3. August 2014 Hals über Kopf aus Shingal und ließen die Zivilbevölkerung zurück. Die Terrormiliz IS kann fast ungehindert vorrücken, massakriert über 5.000 Êzîden, entführt bis zu 7.000 Frauen und Kinder, vertreibt über 300.000 und treibt etwa 80.000 in das Gebirge, wo sie fast zwei Wochen ausharren und alleine 300 Kinder an Dehydrierung oder fehlender Versorgung sterben. Das in Shingal entstandene Sicherheitsvakuum wird von Einheiten der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG und nachrückenden PKK-Einheiten gefüllt. Die êzîdîsche Verteidigungseinheit Shingal formiert sich und verfügt nunmehr über 2.500 Kämpfer.
Die PDK-Verantwortlichen bestehen jedoch auch in den kommen Wochen und Monaten weiter auf ihren Forderungen, einige der êzîdîschen Kämpfer lassen sich schließlich als Peshmerga registrieren, um wenigstens Munition zu erhalten, die über den Luftweg transportiert wird. Erst dann marschieren die Peshmerga-Truppen Mitte Dezember, nach fast fünf Monaten, in Shingal vor und durchbrechen den Belagerungsring des IS. Das Vertrauen in die kurdische Regierung ist bis dahin längst gebrochen. Tausend weitere Kämpfer der HPŞ allerdings, die sich nicht der PDK unterstellt haben, bleiben weiterhin ohne finanzielle, militärische und logistische Unterstützung.
„Wir erhalten wenig finanzielle Unterstützung von der kurdischen Regierung und wir haben keine militärische Hilfe erhalten, etwa Waffen und Munition, die an die Peshmerga geliefert wurden“, wird Qasim Shesho, der die HPŞ als General anführt, von BasNews zitiert. Dass die kurdische Regierung 500.000.000$ von türkischen Banken leiht, weil Bagdad keine Zahlungen an die Regionalregierung leistet, mit denen etwa die Gehälter der Peshmerga-Kämpfer bezahlt werden um ihre Familien zu versorgen, wird hingegen – vernünftigerweise – hingenommen. Es sind jene Familien, die hunderttausende Flüchtlinge in den kurdischen Regionen mitversorgen und einen Großteil der Last getragen haben bzw. immer noch tragen.
Die Berichterstattung Rûdaws und BasNews ist zudem geeignet, ohnehin bestehende Ressentiments und Hass gegen Êzîden weiter zu schüren, was nicht selten in Gewalt umschlägt, wie die Vergangenheit immer wieder zeigt. Die medialen Entgleisungen beider Redaktionen häufen sich in der angespannten politischen wie militärischen Situation.
Während also die kurdische Regierung sich nach alternativen Geldquellen umschaut, um sich dem politischen Druck aus Bagdad zu entziehen, werden im selben Tenor die êzîdîschen Kämpfer zu Verrätern stigmatisiert, weil sie ebenfalls alternative Ressourcen aufsuchen, um damit dem politischen Druck der PDK-Regierung zu umgehen. Nur wenn Êzîden ihre Familien ernähren wollen, scheint es für die Redaktionen von Rûdaw und BasNews ein Problem darzustellen.
© ÊzîdîPress, 24. Februar 2015