Kocho, Shingal. In einer Pressekonferenz haben UN-Ermittler sowie irakische Behördenvertreter am Donnerstag bekannt gegeben, dass die Überreste der ersten Opfer aus den Massengräbern im êzîdîschen Kocho im Nordirak identifiziert werden konnten. Im Laufe von DNA-Analysen habe die Gerichtsmedizin in Bagdad mithilfe Überlebender des Völkermordes in Kocho 62 Êzîden identifizieren können. Unter den Opfern befinden sich ausschließlich Jungen und Männer, darunter Kinder im Alter von 12 Jahren, das älteste Opfer wurde 86 Jahre alt.

Bilder von getöteten oder entführten Êzîden in der ehemaligen Schule in Kocho (14. März, L. Beam)

Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde als Todesursache Schüsse in den Kopf- und Brustbereich angegeben. Viele der Opfer seien zuvor an den Händen gefesselt worden. Die Überreste der identifizierten Opfer seien den Familien übergeben worden, um ihnen eine Bestattung ihrer Angehörigen zu ermöglichen.

UN-Ermittler hatten im März 2019 erstmals die Exhumierung der Überreste in dem Dorf Kocho im Süden der Shingal-Region abgeschlossen. In Kocho verübte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) während des Völkermordes an der êzîdîschen Minderheit eines der brutalsten Massaker. Während die etwa 1.000 Frauen und Mädchen gefangen genommen und versklavt wurden, tötete die Terrormiliz rund 600 männliche Mitglieder des Dorfes. Hunderte, vor allem Frauen und Mädchen, gelten bis heute als vermisst.

Unter den ersten identifizierten Opfer befinden sich mehrere Familienangehörige der êzîdîschen Friedesnobelpreisträgerin Nadia Murad, die ebenfalls aus Kocho stammt. Der leitende UN-Ermittler Karim A. Khan sagte, die Identifizierung sei ein erster Schritt in einem langen Prozess der Gerechtigkeit für die êzîdîschen Opfer. In der gesamten Shingal-Region wurden bisher über 70 Massengräber von IS-Opfern entdeckt.

Die Überlebenden des Völkermordes fordern weiter, dass IS-Mitglieder sich wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem eigenen Prozess vor der Weltgemeinschaft verantworten müssten.

In Deutschland erhob die Generalbundesanwaltschaft weltweit erstmals Anklage gegen die deutsche Jennifer W. sowie ihren irakischen Ehemann Taha A. wegen Völkermordes. Beide sollen während ihrer IS-Mitgliedschaft im irakischen Mosul eine êzîdîsche Mutter und ihr fünfjähriges Kind als Sklaven gekauft und in ihrem Haushalt gefangen gehalten haben. Taher A. soll als Strafe die fünfjährige Êzîdîn im Freien an ein Fenster gefesselt haben, wodurch das Mädchen bei Temperaturen von bis zu 50° qualvoll gestorben sein soll. Der Prozess gegen Jennifer W. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München läuft seit April 2019.