Jerusalem. Das israelische Parlament hat die Anerkennung des Völkermordes an den Êzîden abgelehnt. Am Mittwoch lehnte die Knesset einen vorläufigen Gesetzesentwurf ab, in dem die Verbrechen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gegen die êzîdîsche Minderheit als Genozid anerkannt werden sollten. Der Entwurf wurde mit 58-Nein zu 38-Ja verworfen.

Den Entwurf hatte die Abgeordnete Ksenia Svetlova (Zionistische Union) eingebracht. Sie zeigte sich nach der Entscheidung enttäuscht, auch vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte. „Als Juden, die unter Verfolgung gelitten und einen sicheren Hafen gesucht haben, sind wir verpflichtet, das Leid anderer anzuerkennen“, erklärte Svetlova gegenüber dem Journalisten Seth Frantzman.

Für die Anerkennung hatte vor allem die oppositionelle Zionistische Union (ZU) sowie die Meretz-Fraktion gestimmt. Die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu, der das Leid der Êzîden in einem seiner berüchtigten Videoerklärungen aufgriff und fehlende internationale Solidarität anprangerte, stimmten fast einstimmig dagegen. Bei der Vorstellung ihres Entwurfes im Parlament habe es auch von Seiten der Regierungsparteien zunächst größere Zustimmung gegeben, so Svetlova. Offenbar haben sich die Abgeordneten der Regierung dennoch dazu entschieden, das Gesetz zu verwerfen, um keinen Präzedenzfall und damit Druck zur Anerkennung des armenischen Genozids zu schaffen.

Die Likud-Abgeordnete Tzipi Hotovely, die gegen die Anerkennung gestimmt hatte, erklärte für die Regierung, Israel könne einen Völkermord erst als solchen anerkennen, wenn er von den Vereinten Nationen als solcher anerkannt wurde und ein Gedenktag dafür geschaffen wird. Diese Erklärung haben zahlreiche Israelis als bizarr zurückgewiesen. Die israelische Regierung wirft der UN immer wieder – zu Recht – vor, bei Abstimmungen gegenüber Israel voreingenommen zu sein und den Staat Israel aufgrund seines jüdischen Charakters zu benachteiligen. Dass sie sich nun auf die UN berufe, sei „lächerlich“, schreibt Frantzman.

Vertreter, Gutachter sowie Experten der UN haben in den vergangen Jahren mehrfach deutlich gemacht, dass es sich bei den Verbrechen der Terrormiliz IS gegen die Êzîden eindeutig um Völkermordverbrechen handelt. Ziel des IS sei es, die „Jesiden als Gruppe zu vernichten„, heißt es etwa in einem detaillierten Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte.

Svetlova sagte, die Regierungsmitglieder der Knesset hätten dagegen gestimmt, weil die Ministerkommission für Gesetzgebung dies am vergangenen Sonntag so entschieden hatte. Das israelische Außenministerium habe signalisiert, der Entwurf käme zu früh. Doch Svetlova hebt die besondere Stellung Israels vor dem Hintergrund des Holocausts hervor. Gerade Israel habe eine „besondere Verantwortung“ zur Anerkennung dieses Völkermordes. Deswegen wird ihre Partei einen weiteren Entwurf zur Anerkennung des Genozids einbringen, so Svetlova weiter.

Die Êzîden dürfte die Abstimmung nicht überrascht haben. Auch Armenien, ein weiterer Staat mit denen die Êzîden sich sehr verbunden fühlen und hohe Erwartungen an Solidarität hegten, hatte zunächst gegen eine Anerkennung gestimmt und mehrfach für Eklats gesorgt. Erst nach zähen Verhandlungen hat sich das armenische Parlament im Januar diesen Jahres für eine Anerkennung des Völkermordes des IS an Êzîden entschieden.

Neben Armenien wurde der Völkermord an den Êzîden von Kanada, Frankreich, Schottland, Australien, dem Irak, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dem Europäischen Parlament, dem US-Repräsentantenhaus, dem US-Außenministerium und dem Parlament des Vereinigten Königreichs als solcher anerkannt.

Dass ausgerechnet Armenien und nun Israel mit der Anerkennung ihre Mühen hatten bzw. haben, war und ist für viele Êzîden unverständlich. Gerade auch weil sie aus beiden Ländern aufgrund ähnlicher Verfolgungsschicksale mehr Verständnis erwartet haben. Es bleibt abzuwarten, wie das israelische Parlament mit einem weiteren Entwurf zur Anerkennung verfahren wird.

Am 3. August 2014 überrannte die IS-Terrormiliz das Hauptsiedlungsgebiet der êzîdîschen Minderheit in der nord-irakischen Region Shingal und verübte einen Völkermord an der Zivilbevölkerung. Etwa 10.000 Êzîden fielen dem Genozid direkt zum Opfer, wie eine erste Studie der renommierten Londoner LSE Universität zeigt. Rund 2,2% der êzîdîschen Bevölkerung wurden der Studie nach getötet oder verschleppt. 400.000 weitere mussten aus ihrer Heimat fliehen. Rund 7.000 hauptsächlich êzîdîsche Frauen und Kinder wurden gefangen genommen, versklavt und systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt. Ziel des IS sei es, die „Jesiden als Gruppe zu vernichten“ so UN-Ermittler. Das Europäische Parlament, die UN-Menschenrechtskommission sowie zahlreiche Staaten, darunter die USA, Frankreich und Großbritannien, haben die Verbrechen des IS gegenüber den Êzîden als Völkermord eingestuft. Mit der anhaltenden Gefangenschaft von schätzungsweise 2.500 bis 3.000 Frauen und Kindern handelt es sich um einen bis heute fortgesetzten Völkermord, erklärten Vertreter der UN mehrfach.

 © ÊzîdîPress, 22. November 2018