Tel Benat. Irakische Streitkräfte und Milizen haben mit einer Offensive im Süden der nord-irakischen Shingal-Region begonnen. Am Freitagmorgen marschierten die von schiitischen Milizen geführten irakischen Truppen bis zum êzîdîschen Dorf Tel Benat vor, das unter der Kontrolle der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) steht. Ziel der Iraker ist die Kleinstadt Baaj, eine Hochburg des IS und seiner Verbündeten. In den Tagen vor der Offensive wurde die Stadt mehrfach von irakischen Helikoptern angegriffen. Die Offensive ist Teil der Mossul-Operation und soll den IS aus den westlichen Gebieten nahe der Metropole vertreiben.
Der Vormarsch stößt bei kurdischen Verantwortlichen der Peshmerga auf Kritik. Die irakischen Schiiten-Milizen verstoßen gegen ein Abkommen mit den Peshmerga, keine von den Peshmerga beanspruchten Gebiete im Süden der Shingal-Region zu betreten, heißt es. Die Führer der Schiiten erklärten hingegen, ihre Offensive sei mit den Peshmerga-Kommandeuren abgesprochen. Die Peshmerga befürchten, dass die rivalisierende êzîdîsche Widerstandseinheit YBŞ mit dem Vormarsch der schiitischen Milizen erstarken könnte, wenn diese im Westen der Shingal-Region die von ihnen kontrollierten Gebiete zusammenführen. Trotz der Tatsache, dass der ohnehin politische Machtkampf in Shingal damit um eine weitere Front erweiterter werden könnte, gelang es den Schiiten binnen weniger als 24 Stunden mehrere IS-besetzte Dörfer, darunter Tel Benat, zu befreien.
Die Stadt Baaj, rund 30km südlich Shingal-Stadt und unweit der syrisch-irakischen Grenze im Westen, gilt als Hochburg des IS, wo sich in der Vergangenheit auch der IS-Führer Abu Bakr mehrfach aufgehalten haben soll. Die Stadt fiel im August 2014 unter die Kontrolle des IS. Zu Beginn und während des Völkermordes an den Êzîden, wurden êzîdîsche Frauen und Kinder nach Baaj verschleppt, in den öffentlichen Gebäuden zunächst festgehalten und selektiert und anschließend in andere Regionen deportiert.
Die Êzîden hoffen, dass nun auch die letzten vom IS besetzten Dörfer im Süden Shingals befreit werden. Auf dem Weg der irakischen Truppen liegt auch das êzîdîsche Dorf Kocho, das wie kaum ein anderes Dorf den Völkermord des IS an den Êzîden symbolisiert und die Gräueltaten der Terrorgruppe an Zivilisten verdeutlicht. Zahlreiche Massengräber werden in den noch besetzen Dörfern vermutete. Êzîdîsche Aktivisten haben daher dazu aufgerufen, den Vormarsch der irakischen Truppen zu beobachten und etwaige Massengräber zu dokumentieren und für weitere Untersuchungen abzusichern.
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