Ein Mitglied der sunnitischen Hashd Al-Watani-Miliz in Bashiqa (Atheel Nujaifi/FB)
Mitglieder der sunnitischen Hashd Al-Watani Miliz in Bashiqa (Atheel Nujaifi/FB)


Duhok. Die südkurdische Regierung hat eine umfassende Bewaffnung arabischer Sunnitenstämme aus der nordirakischen Region Ninawa eingeleitet. In den vergangenen Wochen seien bereits 2,000 Araber aus den Ninawa-Regionen Zumar, Shingal und Rabia seitens der Peshmerga ausgebildet und unter Waffen gestellt worden, wie die regierungsnahe Medienagentur Rudaw berichtet. Arabische Stammesführer hatten in der Vergangenheit den südkurdischen Präsidenten Mesud Barzani um eine Aufstellung arabisch-sunnitischer Peshmerga-Milizen gebeten. Mit Zustimmung der lokalen arabischen Stämme habe man den Befehl des kurdischen Präsidenten in die Tat umgesetzt und Freiwillige rekrutiert, sagte Idris Haji, Rekrutierungsbeauftrager der kurdischen Regierung.

Unter den Rekruten seien auch Sunniten aus den Dörfern der Shingal-Region. Der Oberkommandeur der unabhängigen êzîdîschen HPÊ-Miliz, Heydar Shesho, warnte davor, Täter des Völkermordes an den Êzîden zu rehabilitieren. Nachdem die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) am 3. August 2014 die Shingal-Region überfiel, hatten sich die Mehrheit der sunnitischen Nachbarn dem IS angeschlossen, hunderte Êzîden ermordet, Frauen und Kinder entführt und versklavt. In der gesamten Region Ninawa liefen sunnitische Stämme zur Terrormiliz über.

Bis zu 80% der sunnitischen Stämme in Shingal hätten sich am Völkermord an den Êzîden durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ beteiligt, sagte Shesho dem kurdischen Fernsehsender KurdSat. So zum Beispiel die Stämme der Mitwetî und Khatûni, deren Mitglieder voraussichtlich ebenfalls unter Waffen gestellt werden könnten. Der IS-Kommandant, der für das Massaker im Dorf Kocho in Shingal mit über 600 Ermordeten und über 1.000 verschleppten Êzîden verantwortlich war, war der sunnitisch-kurdische Stammesführer Abu Hamza Al-Khatuni, der dem Khatuni-Stamm aus Shingal angehört. Den Rekruten der sunnitischen Peshmerga-Miliz könnten den Informationen nach auch Personen aus der Stadt Baaj angehören. Hunderte êzîdîsche Frauen und Kinder wurden nach Baaj verschleppt, dort mithilfe der lokalen Bevölkerung Wochen und Monate in Schulen und anderen größeren Gebäudekomplexen festgehalten und versklavt.

Die Bewaffnung dieser Sunniten stelle eine weitere Gefahr für die Êzîden da, inbesondere dann, wenn diese den Anspruch erhebten, nach Shingal zurückzukehren, sagte Shesho weiter. „Wir sehen in der Gründung dieser Miliz weder einen Vorteil für die kurdische Region noch für die Êzîden“, so Shesho. Auch in den Dörfern der anliegenden Regionen Zumar und Rabia wurden bereits vor dem Völkermord des IS dutzende Êzîden von sunnitischen Stämmen aufgrund ihrer religiösen Identität getötet und vertrieben. Es sei daher unverantwortlich, diese Stämme ohne eine Untersuchung ihrer Mitschuld am Völkermord an den Êzîden nun zu bewaffnen, sie vor dem Gesetz zu rehabilitieren und dann in die Regionen zurückkehren zu lassen, kritisierte Shesho. Ein Leben für die Êzîden in Shingal wäre unter diesen Umständen undenkbar. Zudem hätten sich viele der sunnitischen Stämme auch am Kampf des IS gegen die Peshmerga beteiligt und sich sich des hundertfachen Mordes an Kurden mitschuldig gemacht.

IIm Hinblick auf eine strafrechtliche Verfolgung mitschuldiger Sunniten am Völkermord verwies Shesho auf vorliegende Listen mit aufgeführten Namen von sunnitischen Stämmen und Stammesmitgliedern aus Shingal, welche eine Mitgliedschaft dieser zum IS dokumentierten und durch Zeugenaussagen belegbar seien. Ein Vertreter des kurdischen Parlaments und des Peshmerga-Ausschusses, Qadir Rizgayi (PUK), sagte, dass das Peshmerga-Ministerium über die Gründung dieser Miliz nicht informiert wurde. Es handele sich dabei um einen eigenständigen Beschluss des kurdischen Präsidenten.

Hinter dem Kalkül der PDK-geführten Regierung steht die Konsolidierung ihrer Macht- und Gebietsansprüche in der Ninawa-Region, die sie mithilfe der sunnitischen Araber, die der schiitisch geführten irakischen Zentralregierung ohnehin feindlich gesinnt sind, durchzusetzen versucht. Sie folgt damit dem Beispiel der Hasd Al-Watani, einer von sunnitisch-irakischen Politikern aufgestellten sunnitischen Miliz, die von der Türkei unterstützt wird und den Einfluss der Schiiten auf Mossul und schließlich Ninawa bekämpfen soll. Das Ziel ist eine Abspaltung von der irakischen Zentralregierung. Arabisch-sunnitische Stammesführer und Politiker äußerten in den vergangenen Monaten wiederholt den Wunsch, die Ninawa-Region unter die Führung der kurdischen Autonomieregion zu stellen. Die kurdische PDK-Regierung nimmt dafür auch den Zorn der Êzîden in Kauf. Zahlreiche sunnitische Führer hausen mit Zustimmung der PDK-Administration in der kurdischen Metropole Erbil. Dieselben Führer lehnten es ab, den Völkermord des IS an Êzîden anzuerkennen.

Zwar haben nicht alle der sunnitischen Stämme in Ninwa den IS unterstützt, so etwa der Stamm der Shammar, der seit Beginn der Irakkrise gegen die Terrormiliz IS angekämpft, dennoch ist für solch einen Schritt fehlendes Vertrauen notwendig. Eine Garantie gibt es in einer derart fragilen Region ohnehin nicht und so ist die Befürchtung der Êzîden, dass diese Waffen irgendwann gegen sie selbst gerichtet werden könnten, nicht unbegründet – wie so oft in der Vergangenheit

© ÊzîdîPress, 3. Dezember 2016