Diyar Naamo Khatari (m.) mit dem Oberkommandeur der HPŞ Heydar Shesho (re.)
Diyar Naamo Khatari (mt.) mit dem Oberkommandeur der HPŞ Heydar Shesho (re.)

Diyar Naamo Khatari ist innerhalb der êzîdîschen Gemeinschaft aus dem Irak und Südkurdistan als Journalist, Schriftsteller und Dichter bekannt. Khatari hat bisher zahlreiche Texte bezüglich der êzîdîschen Geschichte verfasst sowie Kolumnen publiziert, die auch kontroverse Themen thematisierten. Auch über die politische Lage und die gegenwärtige Bedrohungslage hat Khatari geschrieben und sich nicht selten auch den Zorn verschiedener, politischer Organisationen auf sich gezogen.

In den vergangenen Monaten hat sich Diyar Naamo Khatari aufgrund des Genozids der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gegen die êzîdîsche Gemeinschaft vor allem mit diesem Thema beschäftigt. Seit dem Überfall auf die Region Shingal, dem Hauptsiedlungsgebiet und Inbegriff der êzîdîschen Heimat, sind tausende Êzîden von IS-Terroristen massakriert, tausende Frauen, Kinder und Mädchen verschleppt, vergewaltigt und zwangsverheiratet worden.

Diyar Naamo Khatari im Shingal-Gebirge
Diyar Naamo Khatari im Shingal-Gebirge

Khatari begab sich einerseits als Journalist, andererseits als Êzîde in das Shingal-Gebirge. Ein Gebirge, das für den êzîdîschen Widerstand seit jeher von größter Bedeutung ist. Anfang August erlangten die Êzîden und damit auch die Shingal-Region im Laufe des Vernichtungsfeldzuges der IS-Terrormiliz traurige Bekanntheit. Khatari berichtet seitdem immer wieder direkt vor Ort über die Ereignisse in Shingal, unter anderem auch für den êzîdîschen Fernsehsender 4ŞemTV. Als Journalist berichtete er, als Êzîdî kämpfte er an der Seite der Widerstandskämpfer. Während seines 20 tägigen Aufenthaltes riskierte Khatari mehrfach sein Leben. Über seine Erlebnisse sprach Khatari mit ÊzîdîPress Redakteur Ayad Shingali.

ÊP: Die gesamte Welt war Augenzeuge eines Völkermordes an den Êzîden im Nordirak. Wie haben Sie als êzîdîscher Journalist und Aktivist diesen Genozid erlebt?

Khatari: Unsere Eltern erzählten uns immer wieder, dass die Êzîden in der Geschichte bereits 72 Vernichtungsfeldzügen ausgesetzt waren. Viele von uns konnten sich darunter nicht besonders viel vergegenwärtigen und tatsächlich ist es so, dass man sich im 21. Jahrhundert derartige Gräuel schwer vorstellen kann. Aber es ist passiert. Im 21. Jahrhundert werden Frauen versklavt, Kinder verhungern und Männer werden wie Vieh geschlachtet.

ÊP: Sie waren ebenfalls im Shingal-Gebirge, was verbindet Sie mit dieser Region und dem Gebirge?

Khatari: Für mich stellt das Gebirge etwas heiliges dar, denn ich bin der Meinung, dass sie erst das Überleben der Êzîden bis heute ermöglichten. Berge und insbesondere das Shingal-Gebirge waren und sind in der Geschichte immer wieder Orte des Widerstandes gewesen und bieten den Verfolgten Schutz. Im Shingal-Gebirge werden nicht nur die êzîdîschen Zivilisten und die Pilgerstätten der Êzîden verteidigt, sondern die gesamte Menschheit.

ÊP: Was genau ist damit gemeint, dass im Shingal-Gebirge die „gesamte Menschheit“ verteidigt wird?

Khatari: Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ verfolgt eine im wahrsten Sinne faschistische und grundlegend böse Ideologie. Auf der Todesliste des IS steht in erster Linie nicht nur die Vernichtung der Êzîden, sondern die Vernichtungen aller Werte des Westens, deren Menschen sie als „Kufar“, also Ungläubige, bezeichnen. Die Zerstörung demokratischer Prinzipien, der Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit aller Menschen, für deren Errungenschaft und Verteidigung Millionen von Menschen gestorben sind, werden nun von dieser Terrormiliz bekämpft. Es ist ein Krieg gegen die Menschlichkeit und die gesamte Menschheit, den der IS führt.

Khatari im Gespräch mit einem êzîdîschen Widerstandskämpfer in Shingal
Khatari im Gespräch mit einem êzîdîschen Widerstandskämpfer in Shingal


ÊP: Wie sah die Situation der êzîdîschen Widerstandskämpfer in Shingal aus, als sie im Gebirge waren?

Khatari: Seit fünf Monaten verteidigen die êzîdîschen Widerstandskämpfer die Shingal-Region, ausgestattet mit alten und leichten Waffen und unter den widrigsten Bedingungen im Gebirge. Ich selbst bin mit einem Helikopter auf das Gebirge geflogen, weil zu diesem Zeitpunkt alle Straßen, die die Autonome Region Kurdistan mit Shingal verbinden, von den IS-Terroristen kontrolliert wurden. So waren auch etwa 10.000 Zivilisten und ebenso die Widerstandskämpfer alle Einheiten in Shingal wochenlang eingekesselt. Es mangelte an allem.

Im Kampf um Gabara beispielsweise musste unsere Einheit vier Stunden zu Fuß durch das unwegsame Gebirge marschieren, ehe wir in Gabar einstreffen und den dortigen êzîdîschen Widerstandskämpfern zur Hilfe eilen konnten. Nachdem mehrere Terroristen getötet und die Terrormiliz schließlich zurückgedrängt werden konnten, mussten wir erneut vier Stunden zurück zu unserem Lager im Gebirge marschieren. Trotz der schwierigen Umstände haben die êzîdîschen Widerstandskämpfer eine heldenhafte Mission erfüllt und damit Geschichte geschrieben. Ich hatte überall im Gebirge das Gefühl, dass es nach Blut roch.

ÊP: Welches Bild hat sich Ihnen im Gebirge vor allem eingeprägt?

Khatari: Ich hätte niemals geglaubt, dass die êzîdîschen Widerstandskämpfer so heldenhaft gegen die IS-Bestien standhalten können. Es ist kein Geheimnis, dass es der Terrormiliz gelungen ist, weite Teile Syriens und des Iraks unter ihre Kontrolle zu bringen. Durch die mediale Propaganda haben die Terroristen ein wichtiges Ziel erreicht: Nämlich die Öffentlichkeit einzuschüchtern. Auch deswegen hat die irakische Armee fast ohne jeglichen Widerstand die Metropole Mosul aufgegeben sowie die kurdischen Peshmerga die Region Shingal. Was ich als sehr bedenklich empfunden habe und mich sehr bedrückte, war die Ignoranz der Politik gegenüber den Flüchtlingen. Unter katastrophalen Bedingungen harren die Flüchtlinge in Flüchtlingslager innerhalb der Autonomen Region Kurdistan aus.

© ÊzîdîPress, 05. Januar 2015