Duhok. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat heute am 12. Oktober einen Bericht über das Schicksal der vom Islamischen Staat (IS) entführten und missbrauchten yezidischen Frauen, Mädchen und Kinder veröffentlicht. Die „systematische Entführung und Missbrauch yezidischer Zivilisten können als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet werden, stellt Human Rights Watch in dem Bericht fest. Der Sonderbeauftragte Fred Abrahams spricht zudem von „furchtbaren Verbrechen“ der IS-Terroristen an den yezidischen Zivilisten.
Die Organisation dokumentierte Aussagen von Opfern, die aus der IS-Gefangenschaft entkommen konnten sowie von Yeziden, deren Angehörige weiterhin festgehalten werden. Auch mit zwei Frauen, die sich in der IS-Gefangenschaft befinden, konnte die Menschenrechtsorganisation per Telefon Kontakt aufnehmen.
Die Frauen berichten von Vergewaltigungen, Zwangsehen mit IS-Terroristen, Zwangskonvertierungen, sexuellen Übergriffen und Sklaverei. Unter den Opfer befinden sich auch Kinder. Jungen wurden von Extremisten des IS entführt und zum Islam zwangskonvertiert. „Wir haben schockierende Bericht über Zwangskonvertierungen, Zwangsehen, sexuellen Übergriffen und Sklaverei gehört – einige der Opfer sind Kinder“, so der HRW Sonderbeauftragte.
Nachdem der Islamische Staat am 3. August 2014 das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden Shingal stürmte, nahmen Kämpfer der Terrorgruppe die Yeziden gefangen. In den ersten Tagen wurden Frauen, Männer, Mädchen und Jungen gemeinsam festgehalten. Anschließend begannen die Terroristen, die Gefangenen in drei Kategorien aufzuteilen: ältere Frauen und Mütter mit Kleinkindern, in einigen Fällen zusammen mit Greisen und Ehemännern; Frauen in den frühen 20ern und minderjährige Mädchen sowie junge Männer und ältere Jungen.
Auch mehrere dutzend Angehörige weiterer religiöser und ethnischer Minderheiten werden von den IS-Terroristen festgehalten. Darunter Christen, schiitische Shabak und Turkmenen , wie Vertreter und Angehörige der HRW mitteilten.
Die genaue Zahl der in der Gewalt des IS befindlichen Zivilisten ist nicht bekannt und kann aufgrund der fortdauernden Kämpfe nicht ermittelt werden.
Die Yezidin Naveen, die mit ihren vier Kindern im Alter von 3, 4, 6 und 10 Jahren nach einem Monat aus der Gefangenschaft fliehen konnte, berichtet HRW, dass sie gesehen hat, wie Kämpfer des IS entführte yezidische Frauen und Mädchen als „Bräute“ in zwei Gebäuden gefangen hielten, wo auch Naveen untergebracht war. Dabei handelt es sich um das Badush Gefängnis nahe Mosul und einem Schulgebäude in Tel Afar im Westen von Mosul.
„Ich sah, wie sie alle mitnahmen, rund 10 Frauen und Mädchen [an verschiedenen Tagen]. Einige waren etwa 12 oder 13 Jahre alt, andere bis 20 Jahre. Mehrere mussten sie mit Gewalt fortzerren. Einige der jungen Frauen sind verheiratet aber haben keine Kinder, sie [der IS] aber glaubte, dass sie unverheiratet seien.“
Tage später, so Nareen, kehrten die neu verheirateten Frauen und Mädchen in das Gefängnis zurück und erzählten: „Sie haben uns geheiratet; wir hatten keine Wahl.“
Die 17-jährige Adlee berichtete HRW, wie „ein großer bärtiger Mann“ sie aus einer Gruppe von in Mosul festgehaltenen jungen Frauen herauspickte, und sie sowie ein weiteres Mädchen nach Fallujah, in der Provinz Anbar, brachte: „Ich kauerte auf dem Schoß einer Frau. Sie sprach mit mir, als wäre ich ihre eigene Tochter und sagte mir „fürchte dich nicht; ich werde nicht zulassen, dass er dich mitnimmt.“ Aber der Mann schaute mich an und sagte, dass ich ihm gehöre und packte mich unverzüglich in sein Militärfahrzeug“
Der Kämpfer brachte beide Mädchen in ein Haus nach Fallujah, westlich von Bagdad. „Sie schlugen und ohrfeigten uns, um uns gefügig zu machen“, erzählt Adlee weiter. Nach zwei Tagen gelang den Mädchen die Flucht. „Wir wehrten uns so gut wir konnten gegen ihre Versuche, uns anzufassen. Alles was sie taten, taten sie mit Zwang“.
Ein 15 Jahre altes Mädchen namens Rewshe konnte am 7. September entkommen. HRW berichtet, dass Rewshe Ende August, nachdem sie drei Wochen lang festgehalten wurde, von einer IS-Einheit in einem Konvoi von vier Bussen nach Raqqa in Syrien gebracht wurde. Mit dabei ihre Schwester und rund 200 weitere Frauen und Mädchen, wo sie in großen Häusern im Süden der Stadt gefangengehalten wurden. Am Tag darauf kam eine Gruppe bewaffneter Männer und nahm 20 der Frauen mit. Der Wächter, so Rewshe, erzählte, dass die Männer die Frauen und Mädchen gekauft hätten.
Am nächsten Tag wurden Rewshe und ihre 14 Jahre alte Schwester von einem IS-Emir an einen Palästinenser, der mit dem IS kämpft, verkauft. Mit Stolz prahlte der Palästinenser, dass er sie für 1.000 US-Dollar gekauft habe. In der selben Nacht verkaufte der Terrorist Rewshes Schwester an einen anderen Kämpfer und brachte Rewshe in ein Gebäude an der Stadtgrenze Raqqas. Sie wehrte sich gegen sexuelle Übergriffe und konnte durch eine unverschlossene Tür entkommen, während der Palästinenser schlief.
Der IS trennte zudem kleine Jungs von ihren Familien, offenbar um sie religiös oder militärisch auszubilden, wie drei entkommene Yeziden und ein yezidischer Aktivist berichten. Khider, ein 28-jähriger Mann, der aus der Gefangenschaft entkommen konnte, berichtet, wie die Entführer 14 Jungen im Alter von 8 bis 12 Jahren in einer Militärbasis festhielten, die sie aus Shingal verschleppt hatten:
„Einer der älteren Brüder wurde ängstlich und fragte „wohin bringt ihr sie?“ Sie [Kämpfer des IS] antworteten: „Macht dir keine Sorge, wir werden sie füttern und uns um sie kümmern. Wir bringen sie zu einer Basis, wo wir ihnen den Koran lehren und wie sie kämpfen müssen, um ein Djihadist zu werden.“
Khider und über 200 weitere yezidische Männern, Frauen und Kindern wurden von Kämpfer des IS gezwungen, in einer Massenzeremonie zum Islam zu konvertieren:
„Sie drängten uns, die Shahada [Islamisches Glaubensbekenntnis] dreimal zu rezitieren…Selbst die kleinen Kinder, die alt genug zum Sprechen waren, mussten es aufsagen…Die Yeziden weinten und schrien. Sie fragten uns „ist hier irgendjemand, der nicht zum Islam konvertieren möchte?“ Natürlich blieben wir alle stillt, weil wir wussten, dass sie jeden, der dies ablehnte, töten würden“
êzîdîPress, 12. Okt. 2014