[L]alish. Seit nunmehr sieben Tagen wird der êzîdîsche Oberbefehlshaber Heydar Shesho von der kurdischen Regierung festgehalten. Derweil sind weitere Hintergründe seiner Verhaftung bekannt geworden. Am Abend des 5. April gegen 21 Uhr Ortszeit stürmten Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung das Familienanwesen in Khanke (Provinz Duhok) und nahmen Heydar Shesho sowie zwei seiner Leibwächter als auch seinen Schwager fest.
Der Einsatz richtete sich gezielt gegen Heydar Shesho als Oberbefehlshaber der êzîdîschen Verteidigungseinheit. Zuvor wurde darüber spekuliert, ob zunächst ein Verwandter Sheshos festgenommen werden sollte. Die Leibwächter Heydar Shesho’s waren bereit, die Sicherheitskräfte vom Eindringen in das Anwesen mit Waffengewalt abzuhalten, was Shesho jedoch ablehnte. Die kurdischen Sicherheitskräfte führten ihn schließlich ab. Dem Vater von Heydar Shesho zufolge ist weder der Aufenthaltsort bekannt noch ist ein telefonischer Kontakt gestattet, wie er gestern gegenüber ÊzîdîPress erlärte.
Die kurdische Regierung hat über êzîdîsche PDK-Funktionäre Kontakt zu der Familie aufgenommen und den Vater aufgefordert, eine – entgegen jeglichen zivilisierten Rechtsvorstellungen – Vollmacht abzusegnen, die es der kurdischen Regierung erlaube, ihre Forderungen selbst durchzusetzen. Diese sehen vor eine Auflösung der Vertedigiungseinheit Shingals (HPŞ), den Verzicht auf die êzîdîsche Widerstandsflagge, die Unterordnung der êzîdîschen Kämpfer unter den PDK-Peshmerga und neuerdings auch eine Ausweisung des HPŞ-Oberkommandeurs aus dem Irak sowie ein politisches und militärisches Betätigungsverbot vor.
Diese Vollmacht lehnte der Vater Qaso Shesho mit der Begründung ab, dass alleine sein Sohn dazu befugt sei, in seinem eigenen Namen Entscheidungen zu treffen. Heydar Shesho sei heute nicht nur sein Sohn, sondern „der Sohn aller Êzîden“, wie er gegenüber ÊzîdîPress erklärte. Seine Festnahme entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage und sei politisch motiviert, erklärte er weiter. Vater Qaso Shesho ist selbst Kriegsveteran, der als Peshmerga gegen die Truppen des Saddam-Regimes gekämpft und lange Zeit im Gefängnis gesessen hatte. Der kurdischen Regierung macht er schwere Vorwürfe: Ihr gehe es einzig darum, jegliche Aktivitäten der Êzîden zu unterbinden, trotz des vorangegangenen Genozids und der Notwendigkeit einer eigenen Verteidigungseinheit. Zudem verurteilte er das Verhalten der zwei großen kurdischen Parteien PDK und PUK, die mit der Verhaftung seines Sohnes einen Parteienstreit führen möchten. „Es geht alleine darum, den Êzîden ihre Rechte zu verwehren. Die Verhaftung ist weder parteipolitisch motiviert, noch hängt sie sonst mit irgendeiner Partei zusammen“, erklärte Qaso Shesho weiter.
Die Kämpfer der HPŞ sowie der zweite Oberbefehlshaber Dawid Cindî lehnen die Forderungen der kurdischen Regierung ebenfalls ab. Der HPŞ-Pressesprecher erklärte, dass man „nicht bereit ist, über irgendwelche Forderungen zu diskutieren, ehe der Oberbefehlshaber Heydar Shesho wieder frei ist“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die kurdische Regierung ordnete die Festnahme Heydar Sheshos mit der Begründung an, er habe mit der HPŞ eine „illegale Miliz außerhalb des kurdischen Gesetzes auf kurdischem Territorium“ gegründet, die vom irakischen Staat finanziert wird. Weil die HPŞ als Teilstreitkraft pro forma zu den al-Hashd al-Shaabi (PMU) gezählt wird, der generellen Mobilmachung der Iraker gegen den Terrororganisation „Islamischer Staat“, zu der auch die schiitischen Milizen gehören, wird den Êzîden eine „Kooperation mit den Feinden“ angelastet. Derweil hat die kurdische Regierung ihre eigenen PMU-Milizen gegründet: Der irakische Provinzgouverneur von Mosul erklärte, dass die Regierungspartei PDK eine 5.000 Mann starke „al-Hashd al-Shaabi“-Miliz aus arabisch-sunnitischen Stämmen aufgestellt hat, die – teilweise- auf dem Territorium Kurdistans operiert.
Schon vor Wochen kursierten unbestätigte Berichte, wonach die kurdische Regierung auch aus den sunnitischen Stämmen aus Shingal, die sich am Völkermord des IS an Êzîden beteiligten, Milizen geformt habe. In der kurdischen Hauptstadt Erbil hat die „Union der sunnitisch-arabischen Stämme im Irak“ seinen Hauptsitz, die ihre Stämme schon zuvor bereits ohne die Zustimmung der irakischen Regierung bewaffnet haben. Im Rahmen einer Konferenz im kurdischen Erbil lehnte dieselbe Union eine Verurteilung der Verbrechen des IS etwa an Êzîden ab.
Die deutschen Waffen, mit der Begründung an die Peshmerga geliefert, einen Völkermord an Êzîden zu verhindern, könnten nun auch in die Hände dieser arabisch-sunnitischen Milizen geraten.
Die HPŞ wurde von Êzîden ins Leben gerufen, nachdem die 10.000 Peshmerga der kurdischen Regierung Anfang August 2014 davonrannten, als der IS die Region Shingal angriff und schließlich einen Völkermord verübte. Dawid Cindi zufolge, HPŞ-Oberbefehlshaber, verfügt die Einheit über 3.200 Kämpfer, von denen 1.000 vom irakischen Staat registriert wurden. Die HPŞ-Führung stellte zudem klar, dass niemand außer den beiden Oberbefehlshabern und der weiteren Kommandeure der Einheit befugt ist, im Namen der Verteidigungskraft Shingals zu sprechen.
© ÊzîdîPress, 12. April 2015