Gregor Gysi und Agnes Alpers | privat
MdB Gregor Gysi und MdB Agnes Alpers | http://www.agnes-alpers.de/

Das Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von Agnes Alpers. Es entstammt der 15. Ausgabe der »Agnes Alpers Aktuell«, dem offiziellen Newsletter der Bundestagsabgeordneten. 

Faizah und Rasin sind vor neun Monaten aus Syrien nach Deutschland gekommen. Das jesidische Ehepaar hatte Glück, sie durften im Rahmen einer Familienzusammenführung mit ihren vier Kindern einreisen. Froh den Repressalien im Heimatland entkommen zu sein, stellen sich die 36- jährige Frau und der 43-jährige Mann in einem Café in einer großen Stadt im Norden einem Interview, waren aber nicht bereit zu politischen Äußerungen und wollten auch ihre wirklichen Namen nicht genannt wissen. Sie haben Angst, sie könnten damit ihren Verwandten in Syrien schaden. Aber sie berichten über ihre Erlebnisse und Erfahrungen als Flüchtlinge. Als ÜbersetzerInnen stellte sich ein befreundetes Ehepaar zur Verfügung, das ebenfalls unerkannt bleiben möchte.

Frage: Was haben Sie in Syrien gemacht?
Rasin: Wir waren Landwirte und hatten zudem einen kleinen Laden.

Frage: Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Rasin: Wir hatten Angst um unsere Kinder. In den letzten zwei Jahren konnten wir diese nur noch unregelmäßig zur Schule schicken. Wenn wir draußen Schüsse gehört haben, dann hatten wir Angst um unsere Kinder. Wir mussten immer befürchten, dass ihnen auf dem Schulweg etwas passieren könnte. Aber wir hatten auch Angst, dass unsere Kinder von Terroristen oder gefühlslosen Menschen, welche die Situation in Syrien für solche Zwecke ausnutzen, als Geiseln genommen werden könnten, so etwas ist in der letzten Zeit öfter vorgekommen. Ich habe das selber mit ansehen müssen. Natürlich geht es dabei um Geld, es wird eine utopisch hohe Lösesumme verlangt. Seit drei Jahren gibt es diesen Bürgerkrieg und jeden Tag hatten wir Angst, dass auch unser Sohn entführt wird.

Frage: Wer ist in Gefahr?
Rasin: Diese Gefahr besteht vor allen Dingen für Jesiden und Christen, deshalb wünschen wir uns, dass die Aufnahmebereitschaft auch hier steigt, denn die Zahl der Jesiden und Christen in Syrien wird immer geringer, wir werden ausgerottet.
Faizah: Aber auch die Lebensverhältnisse sind katastrophal. So fällt zum Beispiel ständig der Strom aus. Auch Wasser gab es oft nur eine Stunde am Tag. Wie soll man so zum Beispiel die Wäsche für eine sechsköpfige Familie da waschen?

Frage: Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
Rasin: Die Anträge auf Familienzusammenführung müssen die Verwandten hier in Deutschland stellen. Manchmal dauert die Bearbeitung aber sehr lange. In dieser Wartezeit kann so viel geschehen. Wir sind nach Bewilligung der Anträge in den Libanon gegangen und von dort aus nach Deutschland geflogen

Frage: Was geschieht, wenn der Antrag abgelehnt wird?
Rasin: Dann bleibt nur die Flucht mit einem Schleuser, aber das ist teuer und sehr gefährlich. Eine Gruppe von Frauen und Kindern sind dabei elendig ertrunken, als sie mit ihrer Gruppe in einem Boot einen Fluss überqueren mussten und angegriffen wurden. Wenn der Schleuser die Flüchtlinge hängen lässt, bleibt nur die Rückkehr nach Syrien, aber das Geld ist dann meist weg. Sobald man sich auf die Flucht begibt, spielt man mit seinem Leben.

Frage: Wie wäre es Ihnen ergangen, wenn Sie in Syrien geblieben wären?
Faizah: Wenn wir in Syrien geblieben wären, hätte sich unsere Situation weiter verschlimmert. Unser ältester Sohn hatte gerade Abitur gemacht aber studieren durfte er nicht. Auch die medizinische Versorgung wird immer schlechter, ebenso die Lebensbedingungen. Viele Menschen müssen gar schon hungern. Auch verschleiern sich viele Frauen, obwohl sie gar keine Muslime sind. Aber nur so fühlen sie sich auf der Straße ausreichend geschützt.

Frage: Leiden Sie unter der Trennung von dem Rest Ihrer Familie?
Faizah: Man vermisst das Zuhause. Ein Teil unserer Familie ist immer noch im Syrien. Schon seit mehreren Wochen gelingt es uns nur sehr selten mit unseren Verwandten zu telefonieren. Das belastet sehr. Wir haben alles zurück gelassen, unsere ganze Existenz. Das schmerzt. Jedes Telefonat mit den Verwandten endet mit Tränen. Es belastet, dass man nie weiß, wie es der Verwandtschaft geht, ob sie noch am Leben sind? Die Angst ist immer da. Einerseits sind wir sehr froh hier zu sein, andererseits weint die Hälfte der Seele um die Daheimgebliebenen.

Frage: Bekommen Sie Hilfe in Ihrem Schmerz?
Rasin: Es gibt hier leider kaum psychologische Hilfe. Wir wissen zumindest von keinem solchen Angebot. Aber da sind die Familie und die anderen Syrer, wir reden viel miteinander.

Frage: Sind Ihre Erwartungen hier in Deutschland erfüllt worden?
Rasin: Ja, unsere Erwartungen sind erfüllt worden. Wir hatten die Hoffnung, dass unsere Kinder hier eine gute und sichere Bildung bekommen und das ist der Fall. Unser Ältester macht jetzt einen Deutschkurs und will dann studieren.
Faizah: Es ist ein so schönes Gefühl, die Kinder einfach so, ohne Sorgen, morgens in die Schule schicken zu können. In Syrien verlieren die Kinder ihre Unbekümmertheit, sie können nicht spielen wie hier, sie werden abgeschottet, aus Angst davor, dass ihnen etwas passieren könnte. Es ist eine verlorene Kindheit.

Frage: Haben Sie Wünsche?
Rasin: Wir wünschen uns, dass auch unsere Verwandten hierher kommen können. Wir wünschen uns, dass wir für immer hier bleiben können und dass die Kinder eine gute Schulbildung erhalten. Und wir wünschen uns natürlich einen sicheren Aufenthaltsstatus. Wir haben im Moment eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre. Und irgendwann würden wir gerne eine größere Wohnung beziehen. Derzeit leben wir mit sechs Personen in zwei Zimmern.

Frage: Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Rasin: Jetzt machen wir erst mal einen Deutschkurs, was danach kommt, wird man sehen.

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