Am ersten Mittwoch im April nach êzîdîschem Kalender beginnt jedes Jahres für die Êzîden das Neujahrs- und Frühlingsfest, das sogenannte „Çarşema Sor“. Es ist einer der wichtigsten und ältesten Feiertage der êzîdîschen Gemeinschaft. Der Rote Mittwoch, wie das Neujahr auch genannt wird, erinnert an die Schöpfung der Erde und die Einheit des Menschen und der Natur. Sobald an diesem Tag die ersten Sonnenstrahlen auf die Erde treffen, beginnt das neue Jahr und das Leben erwacht aus seinem Winterschlaf. Die zentrale Zeremonie findet im Haupttempel Lalish statt.

Name
ÊzîdInnen tragen das heilige Cira-Licht in Lalish am Neujahrstag im Jahr 2015 (Safin Hamed/AFP)
ÊzîdInnen tragen das heilige Cira-Licht in Lalish am Neujahrstag im Jahr 2015 (Safin Hamed/AFP)


Das êzîdîsche Neujahr wird „Cejna Sersalê“ (Neujahrsfest) genannt. Geläufig sind auch die Begriffe „Çarşema Serê Nîsanê“ (Der Mittwoch am Ersten April) und „Çarşema Sor“ (Roter Mittwoch). Alle Bezeichnungen finden sich in den heiligen Schriften der Êzîden, genannt Qewls, wieder. Die Farbe Rot wird in den êzîdîschen Überlieferungen teils als Synonym zum Sonnenauf- und Sonnenuntergang verwendet.

Roter Mittwoch
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Êzîdîscher Tempel in Shingal bei Sonnenaufgang


Am Roten Mittwoch im Monat April, so heißt es in der êzîdîschen Mythologie, vollendete Gott die Schöpfung der Welt und die ersten Sonnenstrahlen trafen mithilfe eines Erzengels auf die Erde. Das Firmament färbte sich daraufhin rot, woher sich der Name des Neujahrs unter anderem herleitet.

Bunte Eier
Besucher bringen bunt gefärbte Eier mit zum Heiligtum Lalish, wo sie sie unter den Anwesenden verteilen und zusammen das Fest begehen (privat)
Besucher bringen bunt gefärbte Eier mit zum Heiligtum Lalish, wo sie sie unter den Anwesenden verteilen und zusammen das Fest begehen (privat)


Die am Neujahr gefärbten Eier erinnern an die Ur-Perle (Dur), aus der das materielle Sein, Universum und Materie, erschaffen wurde und symbolisieren die Farben der von neu aufblühenden Natur. Mit dem Auftreffen der Sonne auf die Erde begann die Natur sich in bunten Farben zu schmücken, wie es im êzîdîschen Schöpfungsmythos heißt.

Mittwoch
Êzîdînnen tragen am Neujahr heilige Lichter durch das Heiligtum Lalish (AA)
Êzîdînnen tragen am Neujahr heilige Lichter durch das Heiligtum Lalish (AA)


Das Neujahr steht auch im Zeichen des obersten der sieben êzîdîschen Erzengel Tawisî Melek, der die Kernlehre der Religion bildet. Der Mittwoch ist der Ruhetag der Êzîden, welcher dem Erzengel Tawisî Melek zugeordnet ist. In der Heimat wurden anlässlich des Neujahrsfestes von êzîdîschen Würdenträgern sog. Sencaq durch die Dörfer getragen, begleitet von den religiösen Instrumenten und Texten.

Heilige Hochzeit
Êzîden zünden zum Neujahrsfest 2015 auf den Hügeln des Lalish-Tals Cira-Lichter an (Safin Hamed/AFP)
Êzîden zünden zum Neujahrsfest 2015 auf den Hügeln des Lalish-Tals Cira-Lichter an (Safin Hamed/AFP)


In diesem Monat findet traditionell keine Hochzeit statt, diese Tradition wird bis heute, auch in der Diasproa, weitgehend eingehalten. Nach êzîdîscher und babylonischer Vorstellung heiraten in diesem Monat die Engel. Der Monat April, Nîsan genannt, wird bei den Êzîden daher auch als „Bûka salê“ (dt. Braut des Jahres) bezeichnet.

Natur
Bäume im Hof des Tempels Lalish (ÊP)
Bäume im Hof des Tempels Lalish (ÊP)


Auch soll der Boden, Acker und Weiden, nicht bewirtschaftet werden, damit die Natur sich erholen kann. Die ezîdîsche Mythologie nimmt immer wieder Bezug zur Natur, wie in den sakralen Texten deutlich wird. Das Êzîdentum wird daher auch oft als Naturreligion bezeichnet. Das Neujahrsfest gilt wie erwähnt daher auch als Frühlingsfest.

Heiliger Rat
Neujahrszeremonie in Lalish zum Neujahr 2015 (Safin Hamed/AFP)
Neujahrszeremonie in Lalish zum Neujahr 2015 (Safin Hamed/AFP)


An diesem Tag, so glauben die Êzîden, finden sich die sieben Erzengel in einem Heiligen Rat mit Gott zusammen, um über das anstehende Jahr zu beraten. Tawisî Meleks Aufgabe als oberster Erzengel ist es, die Beschlüsse des Dîwans, so der Name des Rates, für das kommende Jahr zu vollziehen. Zudem sind an diesem Tag nach êzîdîscher Vorstellungen „die Tore der Glückseligkeit vom Westen bis zum Osten geöffnet“, wie es in einem Text heißt.

Heilige Lichter
Am Neujahrstag werden im Heiligtum Lalish unzählige Lichter entzündet. Die Êzîden halten das Licht in die Höhe und wünschen sich etwas (AP Photo/Bram Janssen).

Am Neujahrstag werden im Heiligtum Lalish unzählige Lichter entzündet. Die Êzîden halten das Licht in die Höhe und wünschen sich etwas (AP Photo/Bram Janssen).


Im zentralen Heiligtum Lalish entzünden die Êzîden am Abend tausende von heiligen Lichter, Çira genannt, mit denen sie das Neujahr in Empfang nehmen. Licht bzw. die Sonne ist im Êzîdentum eines der heiligsten Symbole.

Bazinbar
Êzîdîsches Frühlingsarmband, Bazinbar, in den traditionellen Farben Rot und Weiß (ÊP)
Êzîdîsches Frühlingsarmband, Bazinbar, in den traditionellen Farben Rot und Weiß (ÊP)


Die am Roten Mittwoch von Würdenträgern verteilten Frühlingsarmbänder (Bazinbar) sind ein bei Êzîden oft zu sehendes Symbol. Traditionell in den Farben Rot und Weiß. Sie sollen den Träger vor Unglück und Krankheit bewahren und dürfen nicht abgelegt werden. Sobald das Bazinbar von alleine abfällt, darf der Träger sich etwas wünschen.

Fest der Liebe und Versöhnung
Êzîden feiern im Heiligtum Lalish gemeinsam das Fest (AA)
Êzîden feiern im Heiligtum Lalish gemeinsam das Fest (AA)


An diesem Tag des Neuanfangs sollen Feindschaften und Streitigkeiten beigelegt werden. Das Neujahr soll auch Anlass für einen Neubeginn belasteter Beziehungen sein. Die Erde, so steht es im Schöpfungsmythos der Êzîden, wurde auf Basis der Liebe erschaffen. Zudem besuchen die Êzîden die Gräber ihrer Verstorbenen und bringen Brot und andere Speisen mit, die sie anschließend an Bedürftige verteilen.

© ÊzîdîPress, 19. April 2017