Bashiqa. Die Spannungen zwischen der Türkei und dem Irak nehmen nach dem Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak zu. Die irakische Führung drohte mit militärischen Konsequenzen, sollte die Türkei ihre Truppen nicht unverzüglich aus dem Land abziehen. Iraks Ministerpräsident al-Abadi stellte der Türkei ein 48-Stunden-Ultimatum zum „sofortigen Abzug“. Ansonsten werde man „alle zur Verfügung stehenden Optionen nutzen“, erklärte der Regierungschef weiter. Zudem soll der UN-Sicherheitsrat einberufen werden, sollte die Türkei der Forderung nicht nachkommen. Mehrere irakische Parlamentsabgeordnete drohten mit Luftschlägen gegen die türkischen Truppen, sollten diese nicht binnen 24 Stunden das Land verlassen. Dass es zu einem offenen militärischen Konflikt kommt, ist aber bisher unwahrscheinlich.
Am vergangenen Freitag überquerte ein Battalion der türkischen Armee die irakische Grenze nahe Mossul. In Bashiqa, einer christlich-êzîdîsch geprägten Gemeinde, sind zunächst 130 Soldaten und Kommandeure mit über 20 Panzern eingetroffen und errichteten eine Militärbasis. Später seien weitere hundert türkische Soldaten sowie gepanzerte Fahrzeuge dazugestoßen. Bis zu 2.000 Mann soll die Basis schließlich umfassen, berichtete das türkische Blatt „Hurriyet“. Aus Ankara hieß es, es handele sich lediglich um eine Rotation bestehender Truppen im Nordirak. Der irakische Verteidigungsminister al-Obeidi entgegnete, dass die Truppenstärke deutlich dem von Ankara genannten Zweck übersteige.
Tatsächlich trainiert die türkische Armee seit längerer Zeit kurdische Truppen der Peshmerga und sunnitische Milizen. Mit Zustimmung der kurdischen Autonomieführung. Bisher jedoch vor allem in den Gebieten der Autonomen Region Kurdistans (ARK) und den Grenzregionen zur Türkei, so etwa nahe der Grenzstadt Zakho. Die Errichtung der Basis in Bashiqa jedoch provoziert den schiitisch geführten Irak. Offiziell ist die Region um Bashiqa weiterhin Teil des irakischen Zentralstaates, die jedoch von kurdischen Peshmerga kontrolliert wird. Die irakische Führung betrachtet die Stationierung der türkischen Truppen daher als Eingriff einen in die territoriale Integrität, wie das Innenministerium am Wochenende erklärte.
Der Sonderbeauftragte des US-Präsidenten für die internationale Anti-IS-Koalition, Brett McGurk, erklärte, dass die USA „keine Militäreinsätze innerhalb des Iraks ohne Zustimmung der irakischen Regierung unterstütze“. Die USA haben daher zu direkten Gesprächen zwischen der Türkei und dem Irak aufgerufen. Das folgende Telefongespräch zwischen dem irakischen und dem türkischen Verteidigungsministern sei „positiv und ein konstruktiver Schritt nach vorne“ gewesen. Die türkischen Truppen seien „von der Grenze abgezogen“, so McGurk. Eine Bestätigung des Rückzuges liegt nicht vor. Türkische Zeitungen erklärten, dass lediglich die Stationierung weiterer Truppen gestoppt worden sei.
In dem Machtkampf um die Region stehen sich der schiitische Irak, der unter starkem Einfluss des Irans steht, und die sunnitische Türkei gegenüber. Während Ankara mit allen Mitteln den Sturz des syrischen Machthabers Assad fordert und fördert, sind der Irak und Iran Verbündete des syrischen Regimes. Weder der schiitische geführte Irak noch der Iran werden eine solch massive Stationierung sunnitisch-türkischer Truppen dulden.
Die engen Kontakte zwischen der kurdischen Führung unter Barzanî und der Türkei bergen eine weitere Gefahr. Die kurdische Führung im Nordirak, selbst sunnitisch, riskiert die Kurden in den Konfessionskrieg zwischen Sunniten und Schiiten hineinzuziehen. Bisher kooperierte sie mit beiden: Der Iran bombardierte den Worten des PUK-Sicherheitschefs Lahur Talabani zufolge mehrere Stellungen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ um den Vormarsch des IS auf kurdische Städte zu verhindern. Der iranische General Suleiman behauptet in einem TV-Auftritt gar, dass die Hauptstadt Erbil ohne die Bombardements des Iran an den IS gefallen wäre. Verhindert haben dies allerdings vor allem die Luftschläge der USA, die parallel zur Befreiung der Êzîden im Shingal-Gebirge im August letzten Jahres erfolgten.
Die kurdisch-türkische Verbindung dient vor allem dem amtierenden kurdischen Präsidenten Barzanî, dessen Amtszeit eigentlich abgelaufen ist. Mit Hilfe der Türkei könnte dieser sich weiterhin an der Macht halten. Kein Novum in der kurdischen Politik, die seit osmanischen Zeiten maßgeblich von Türken mitbestimmt wird. Demhat Agit, Sprecher der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die mit der Barzanî-Partei rivalisiert, erklärte, dass die Stationierung der türkischen Soldaten nicht zum Ziel habe, die Terrororganisation IS in Mossul zu bekämpfen. Die Türkei plane vor allem ihren Einfluss und Machtgebiete auszudehnen. Zudem könnten die türkischen Truppen dazu genutzt werden, Einheiten der PKK in Shingal zu bekämpfen, so Agit weiter.
Êzîdîsche Vertreter kritisierten die Errichtung der türkischen Basis in einem von Êzîden geprägten Gebiet. Unter osmanischer Herrschaft waren die Êzîden mehrfach Vernichtungsfeldzügen ausgesetzt.
© ÊzîdîPress, 7. Dezember 2015