VölkermordShingal

Shingal. Mitarbeiter der Vereinten Nationen, die seit Wochen Zahlen der getöteten, vermissten und entführten ÊzîdInnen registrieren, gehen bisher von mindestens 5.000 getöteten êzîdîschen Zivilisten aus. Terroristen des »Islamischen Staates (IS)« überfielen das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden Shingal im Nordirak am 3. August und verübten unzählige Massaker an der flüchtenden Zivilbevölkerung. Bis zu 7.000 Frauen, Mädchen und Kinder befinden sich weiterhin in der Gewalt der IS-Terroristen, von denen sie versklavt, verkauft und unter den Extremisten aufgeteilt worden sind, wie der IS vor wenigen Tagen selbst bestätigte.

Dem Telegraph nach haben die Mitarbeiter des UN-Büros vom Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte erstmals ihre Ergebnisse zusammengeführt und ausgewertet. Jedoch konnten bisher nicht alle Dörfer begutachtet und nicht alle Flüchtlinge befragt werden. Über 400.000 Êzîden befinden zurzeit auf der Flucht, damit ist jeder zweite Êzîdî weltweit betroffen.

Den UN-Mitarbeitern sind demnach alleine im Dorf Kucho 400 Êzîden von IS-Terroristen massakriert worden, Êzîden gehen von 600 hingerichteten Männer aus. Im Dorf Hardan wurden 250 bis 300 Êzîden getötet, weitere 200 auf der Flucht aus dem Dorf Adnaniya, 70 bis 90 Êziden sind in Qiniyeh erschossen worden. Hunderte weitere Männer wurden den UN-Mitarbeitern zufolge getötet, weil sie eine Zwangskonvertierung zum Islam ablehnten. ÊzîdîPress-Korrespondenten berichteten am 4. August bereits von rund 90 Leichen, die sie auf der Suche nach Wasser in und außerhalb des Dorfes Ginia Miherkan am Fuße des Shingal-Gebirges entdeckten.

Beisetzung verdurstete Kinder im Shingal-Gebirge | © êzîdîPress
Beisetzung verdurstete Kinder im Shingal-Gebirge

Ein Überlebender aus dem Dorf Til Benat berichtet êzîdîPress-Korrespondenten am 14. August, dass in seinem Dorf rund 300 Menschen hingerichtet worden sind: “Wir haben uns gewährt, gegen sie gekämpft. Als wir keine Munition mehr hatten, stürmten die Terroristen unser Dorf, wir mussten vortreten. Männer, Frauen, Kinder, Alte. Sie begannen alle zu töten, auf jeden zu schießen. Es war ein Massaker, meine ganze Großfamilie ist getötet worden, mein ganzer Stamm. Fast 300 Menschen sind hingerichtet worden, mich haben mehrere Kugeln getroffen, ich überlebte aber, weil ich mich unter den Leichen versteckte. Solange, bis die Terroristen weiter gezogen sind zum nächsten Dorf.”

Überlebende berichten dem Telegraph außerdem von Massengräbern, in denen weitere hunderte von Êzîden – teilweise bei lebendigem Leib – begraben wurden. Schon vor Wochen berichteten irakische Staatsbeamte von einem Massengrab von rund 500 Êzîden, darunter Frauen und Kinder. Besonders schwer sind die Dörfer im Süden Shingals und ihre Bewohner, die zuerst von den IS-Terroristen und den sunnitischen Nachbarn überfallen wurden, von den Massakern betroffen. Alle Dörfer sind weiterhin von IS-Terroristen besetzt.

Zahlen der im Gebirge verdursteten oder aufgrund nicht vorhandener medizinischer Versorgung gestorbener Êzîden sind – dem Anschein nach – nicht registriert worden. Dort sollen alleine innerhalb von zwei Tagen rund 300 Kinder verdurstet sein.

Matthew Barber von der Universität Chicago konnte bislang rund 4.800 Namen entführter Frauen, Mädchen und Kinder registrieren und fügt hinzu, dass „eine Gesamtzahl von rund 7.000 durchaus möglich ist“.

Es drängt sich unweigerlich der Vergleich mit dem Völkermord von Srebrenica auf, bei dem 1995 rund 8.000 Bosniaken massakriert wurden. Êzîdîsche Juristen, Politiker, Menschenrechtler und Aktivisten haben bei den Vereinten Nationen bereits einen Antrag zur Klassifizierung der Massaker an den Êzîden in Shingal als Völkermord gestellt, vor dessen Hintergrund die Untersuchungen der UN-Mitarbeiter gegenwärtig noch im Gange sind.

êzîdîPress, 16. Oktober 2014