Tel Khatun, Syrien. Die Invasion der Türkei in die kurdischen Gebiete im Norden Syriens geht mit unverminderter Härte weiter. Seit vergangenen Mittwoch bombardiert die türkische Luftwaffe zahlreiche Dörfer entlang der syrisch-türkischen Grenze. Zu den ersten Opfern gehörten zwei Christen aus dem Dorf Bescheriye, wo ein Wohnhaus von einem Luftschlag getroffen und ein weiteres beschädigt wurde.

Am Donnerstag geriet auch das Dorf Tel Khatun, in dem ausschließlich Êzîden leben, unter Beschuss. Die etwa 45 êzîdîschen Bewohner des Dorfes flüchteten in den Süden der Region. Währenddessen rücken von der Türkei finanzierte und unterstützte islamistische Milizen, die offiziell Teil der Militäroperation sind, immer weiter in die Gebiete der Kurden, Christen und Êzîden vor. Die türkische Führung macht aus dem Ziel der Invasion keinen Hehl: es geht um ethnische Säuberungen.

Als am Donnerstag nahe des êzîdîschen Dorfes Tel Khatun, das nur etwa einen Kilometer südlich der türkisch-syrischen Grenze liegt, mehrere Geschütze einschlugen, rückten umgehend islamistische Milizen mit Verbindungen zur Al-Qaida und zum „Islamischen Staat“ vor, um die Kontrolle über das Dorf zu übernehmen. Wie in der Region Afrin auch, sollen anschließend syrische Flüchtlinge, die derzeit in der Türkei leben, dort angesiedelt werden und die demografischen Verhältnisse nachhaltig verändern. Für die Türkei erfüllt die Militäroffensive mehrere Zwecke. Zum einen entledigt sie sich den syrischen Flüchtlingen, gegen die auch innerhalb der türkischen Gesellschaft immer größerer Unmut wächst. Andererseits soll durch die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung die im Südosten der Türkei und in Nordsyrien zusammenhängende kurdische Population voneinander getrennt werden.

Trotz internationaler Proteste sind bisher keinerlei Sanktionen gegen die Türkei verhängt worden. Eine Resolution der Vereinten Nationen zur Verurteilung des türkischen Einmarsches ist mit einem Veto der USA und Russland verhindert worden. Auf die von europäischen Staaten geäußerte Kritik an der Militäroffensive reagierte der türkische Präsident Erdogan mit Drohungen.

Zahlreiche Zivilisten sind bei den Bombardements des türkischen Militärs bisher ums Leben gekommen, darunter auch Kinder. Unabhängige, vor allem US-amerikanische und britische Journalisten vor Ort bestätigten die Tötungen und sprechen von klarer „ethnischer Säuberung“.

Für die wenigen noch in Syrien lebenden Êzîden bedeutet die Offensive das endgültige Ende. Nach der Invasion der Türkei in der Region Afrin wurde die nach 2011 letzte zusammenhängende êzîdîsche Gemeinschaft in Syrien vertrieben und zerstört. In Syrien leben schätzungsweise nur noch wenige Hundert Êzîden.

Im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien trugen die kurdisch geführten SDF-Kräfte die Hauptlast. Etwa 11.000 SDF-Kämpfer kamen im Krieg gegen die Terrormiliz ums Leben. Die Offensive der Türkei gegen die SDF wird daher auch vehement von US-amerikanischen Militärs verurteilt, die sich auf Anweisung Donald Trumps aber in ihre Basen in Nordsyrien zurückziehen mussten. Unterdessen häufen sich die Berichte, wonach von Kurden gefangengenommene IS-Terroristen aufgrund der türkischen Offensive aus den Gefängnissen fliehen.