Der türkische Präsident Erdogan hat Pläne für eine Militärintervention gegen die PKK in Shingal konkretisiert (Reiters/Murad Seze)
Der türkische Präsident Erdogan hat Pläne für eine Militärintervention gegen die PKK in Shingal konkretisiert (Reiters/Murad Seze)


Sinunê. Der türkische Präsident Erdogan hat erneut mit einer Militärintervention in der nordirakischen Region Shingal gedroht. Man werde, so Erdogan gegenüber türkischen Fernsehsendern, einen konkreten Plan zur Bekämpfung der PKK in der Shingal-Region verfolgen und damit ein „zweites Kandil“ verhindern. Die in Syrien mit mäßigem Erfolg beendete „Operation Schutzschild Euphrat“ soll nun von einer neuen Militäraktion abgelöst und auf den Irak erweitert werden.

Erdogan warnte, dass „ungefähr 2500 PKK-Terroristen“ im Begriff seien, einen zweiten Stützpunkt der PKK in der Shingal-Region aufzubauen. Tatsächlich sind jedoch lediglich bis zu 300 PKK-Kämpfer in Shingal aktiv. Der türkische Präsident spielt mit der Zahl auf die von der PKK gegründete und unterstützte êzîdîsche Widerstandseinheit Shingals (YBŞ) an, die aus rund 2.500 Kämpfern besteht.

Die PKK hat auf die Drohungen der türkischen Regierung mit Vergeltung gedroht. Agit Civiyan, PKK-Kommandant und einer der Hauptverantwortlichen des militärischen Flügels in Shingal, sagte gegenüber dem kurdischen Nachrichtensender NRT, man bereite sich auf einen Angriff der Türkei vor und werde auf einen solchen Angriff entsprechend antworten.

Im besonderen Interesse des türkischen Hegemoniestrebens steht auch die benachbarte Stadt Tal Afar, die wenige Kilometer westlich der Shingal-Region liegt. Dort lebte bis zum Aufkommen der IS-Terrormiliz auch eine große Zahl schiitischer Turkmenen. Die Türkei sieht sich als Schutzmacht der türkischsprachigen Minderheit im Irak.

Ein Angriff der Türkei in Shingal scheint zumindest bis jetzt unwahrscheinlich. Die Êzîden befürchten dennoch zwischen die Fronten zu geraten. In Shingal schwelt derzeit ohnehin ein Machtkampf zwischen der PKK und der ebenfalls kurdischen PDK-Partei des amtierenden kurdischen Präsidenten Massoud Barzani. Die PDK-geführte kurdische Regierung pflegt enge wirtschaftliche und politische Kontakte zur türkischen Regierung. Ein Vorgehen der Peshmerga gegen die PKK in Shingal mithilfe der Türkei erscheint daher wahrscheinlicher als ein türkischer Einmarsch. In den vergangenen Wochen kam es bereits zu Kämpfen zwischen Peshmerga-Milizen der PDK und der PKK im Norden Shingals.

Sowohl die PDK als auch die Türkei haben jedoch mehrfach betont und signalisiert, dass ein alleiniger Abzug der PKK aus Shingal nicht ausreiche. Die êzîdîsche YBŞ gilt beiden als PKK-Ableger. Ihre Vertreibung oder Auflösung ist jedoch unrealistisch. Die YBŞ-Einheit besteht aus lokalen Êzîden, die seit dem Völkermord der IS-Terrormiliz als Selbstverteidigungskräfte in Shingal aktiv sind. Kommandeure der YBŞ haben bereits angedeutet, einen Angriff der Türkei sowie der PDK auf ihre Kämpfer und Stützpunkte nicht hinzunehmen.

Der Machtkampf in Shingal wird mit der Ankündigung Erdogans durch eine weitere Konfliktebene verschärft, der auch mit dem Abzug der PKK nicht gelöst werden könnte.  Die YBŞ steht unabhängig von der PKK im Konflikt mit der PDK-Partei, deren Milizen den Völkermord an den Êzîden im August 2014 erst ermöglichten. Eine Entwaffnung der YBŞ durch die PDK wird daher kaum umsetzbar sein.

Die irakische Regierung erhebt ebenfalls Anspruch auf die umkämpfte Shingal-Region, die offiziell noch Teil des Zentralstaates ist. Ein türkischer Einmarsch würde, anders als die Bombardements im PKK-Rückzugsgebiet Kandil, die Souveränität des Irak direkt in Frage stellen und eine Intervention irakischer Truppen, vor allem der schiitischen Milizen, auf den Plan rufen. Der Streit zwischen der irakischen Regierung und der Türkei drohte bereits zu eskalieren, als die Türkei ohne Zustimmung des Irak eine Militärbasis in Bashiqa errichtete. Bashiqa ist mehrheitlich êzîdîsch geprägt und wird von der PDK-Partei kontrolliert.

Leidtragende des Machtkampfes um Shingal sind vor allem die êzîdîschen Flüchtlinge, die unter dem Eindruck des Völkermordes seit fast drei Jahren in Flüchtlingslagern ausharren. Und das, obwohl der Norden der Shingal-Region seit über zwei Jahren befreit ist. Ein Wiederaufbau wird jedoch aus politischem Interesse heraus weder von der irakischen noch von der kurdischen Regierung vorangetrieben und teils bewusst verhindert.

© ÊzîdîPress, 09. April 2017