baran
Opfer der Überschwemmung stehen vor den Trümmern ihrer Existenz (by Rûdaw)

Şingal – Nach tagelangen schweren Regenstürmen in vielen kurdischen Vororten und Dörfern im Norden des Irak kam es besonders in der Region um Şingal (dt. Shingal) zu heftigen Überschwemmungen (134.6mm entspricht 134,6 l/m²). Dutzende Lehmhäuser wurden dabei vollkommen zerstört. Straßen, Wohnungen und Läden wurden von einer Schlammlawine überdeckt. Die Opfer können sich nur mit größter Not vor den Wasserströmen retten. Schon vor der Sturmflut hatten die Menschen in Shingal mit einer Trinkwasserknappheit zu kämpfen, die nun weiter verstärkt wird. Kleine Mengen an Gold und Bargeld, die einzige finanzielle Existenzgrundlage der ohnehin schon von Armut geplagten Menschen, wurden von den Fluten weggetragen. Tausende Menschen stehen nun, kurz vor dem Eintritt des Winters, vor dem Nichts. Hilferufe stoßen auf taube Ohren. Keiner fühlt sich dazu berufen, Verantwortung für die notleidenden Menschen zu übernehmen und so spielt sich wieder einmal vor den Augen der Êzîdî eine von zahllosen Tragödien ab.

Şingal, welches zur Provinz Ninawa gehört, ist sowohl von der irakischen Zentralregierung  als auch ein von der Autonomen Region Kurdistan beanspruchtes Gebiet, dessen Bewohner nach Art. 140 der irakischen Verfassung bereits 2007 per Referendum über die Anbindung ihrer Gebiete an die KRG entscheiden sollten, was jedoch aufgrund politischer Differenzen bis auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Die Zukunft dieses Gebietes steht damit auf einem unsicheren Fundament. Sowohl Bagdad als auch Hewlêr sind sich darüber im Unklaren, ob sie dieses Gebiet an sich binden können und scheuen deshalb vermeintlich sinnlose Investitionen zu tätigen. Ungeachtet dieser Kosten-Nutzen-Politik versinken die Menschen dort immer tiefer in die Spirale der Armut, werden vermehrt Opfer von islamistischen Terroranschlägen und können sich aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage nicht vor Mordanschlägen schützen.

Das Gebiet und die Menschen scheinen von beiden Parteien der Willkür von Naturgewalten und Terrorismus überlassen worden zu sein. Ob sich die Lage für die dort lebenden Êzîdî verbessern würde, wenn sich diese sich bei einem Referendum an die KRG binden würden, bleibt fraglich. Die letzten Parlamentswahlen in der Autonomen Region Kurdistan, in denen zum ersten Mal in der Geschichte Südkurdistans kein Êzîdî im Parlament vertreten ist, bestärken die Zweifel an Verbesserungen. Auch im irakischen Parlament werden die Rechte der Êzîden evident missachtet. Von angemessenen mind. 5 kompensatorischen Sitzen wird den Êzîden lediglich ein Sitz zugesprochen (Bericht). Eine Interessenvertretung der Êzîdî auf politischer Ebene wird damit immer unwahrscheinlicher. Die Folgen jener Entrechtung und politischer Differenzen haben besonders die Êzîdî in Şingal zu tragen.

Êzîdî, die durch die Sturmflut alles verloren haben und sich hilfesuchend an die zuständigen Behörden in Shingal wenden, werden mit Hohn konfrontiert: „Sie lügen“, heißt von den Behörden, die den Nicht-Muslimen jegliche Hilfe verweigern. Während die Menschen sich in Sicherheit brachten, wurden ihre Häuser geplündert. Die Behörden schritten wiederum nicht ein.

Das Schicksal der Êzîden im Irak, besonders in Shingal, war und ist geprägt von Armut und Ungewissheit. Sie werden damit einmal wieder Opfer des politischen Machtkampfes zwischen Bagdad und Hewlêr. Wie die Zukunft für sie aussieht, bleibt ungewiss.

êzîdîPress, 11.11.2013

[youtube dJEABdbt4NY nolink]