Mossul. Im Irak ist ein weiteres Mitglied der Terrorvereinigung „Islamischer Staat“ (IS) zum Tode verurteilt worden. Die erste Kammer des Strafgerichtshofes in der nordirakischen Provinz Ninawa sah es als erwiesen an, dass der Mann für die IS-Sittenpolizei tätig als auch bei militärischen Kämpfen in den südlichen Gebieten der êzîdîschen Region Shingal beteiligt war. Er soll unter anderem in den Dörfern Kocho, Siba und Til Ezer an der Ermordung und Entführung von ÊzîdInnen beteiligt gewesen sein.

In diesen Dörfern stieß die Terrormiliz IS in der Nacht vom 3. August 2014 vor und begann von dort ausgehend den Völkermord an der êzîdîschen Zivilbevölkerung. Bei dem Massaker von Kocho etwa wurden bis zu 600 êzîdîsche Männer und Jungen getötet, bis zu 1.000 Frauen und Mädchen entführt und versklavt. Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad stammt ebenfalls aus Kocho. Bis heute gelten hunderte Frauen und Kinder als vermisst.

Der Pressesprecher des Obersten Justizrates erklärte, der Mann habe sich im Laufe des Verfahrens der Verbrechen für schuldig bekannt. Auch der Vater des Angeklagten habe ausgesagt und bestätigt, dass sein Sohn Mitglied der IS-Terrormiliz gewesen sei. Daraufhin habe die Strafkammer ihn zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Es ist der bereits dritte Fall im Jahr 2019, dass ein IS-Mitglied wegen Verbrechen an der êzîdîschen Minderheit im Irak zu Tode verurteilt worden ist. Grundlage aller Verurteilungen war jedoch nicht die Anklage wegen Völkermordverbrechen, sondern wegen Terrorismus. Êzîdîsche Politiker und Aktivisten bemängelten in der Vergangenheit das Vorgehen der irakischen Justiz dahingehend, nicht wegen der eigentlichen Verbrechen zu urteilen und wichtige Erkenntnisse, die zur Aufklärung weiterer Morde beitragen könnten, nicht einzuholen. Es werde zu schnell verurteilt und nur oberflächlich ermittelt. Die Beteiligung weiterer IS-Mitglieder am Völkermord gegen die Êzîden nachzuvollziehen werde so erschwert.

Die irakische Justiz klagt IS-Mitglieder auf Grundlage des im Jahre 2005 verabschiedeten Anti-Terror-Gesetzes an. In Artikel 4 des Gesetztes ist normiert, dass ein Angeklagter dann zu Tode verurteil wird, wenn er an denen in Artikel 2 und 3 genannten Straftaten beteiligt gewesen ist. Dasselbe gilt für Mittäter. Unter dieses Gesetz fallen aber auch Straftaten, die nach internationalem Standard nicht als schwerwiegend betrachtet werden, kritisierten die Vereinten Nationen. Das Gesetz wird daher vielfach auch von Menschenrechtsorganisationen ebenso wie von Rechtsexperten bis heute kritisiert.

Êzîdîsche Verantwortliche und Aktivisten fordern, dass für IS-Mitglieder ein Sondertribunal errichtet werden soll, um sie wegen Völkermordverbrechen anzuklagen. Beweise des Völkermordes werden derzeit von einem UN-Expertenteam in der Shingal-Region durch die Dokumentation und Exhumierung der Massengräber gesammelt. Ob es am Ende tatsächlich zu einem solchen Sondertribunal kommt, das auch von kurdischen Politikern in Syrien gefordert wird, bleibt unwahrscheinlich. Im Irak und Syrien sitzen tausende IS-Mitglieder und Anhänger in Haft, darunter zahlreiche ausländische, aus Europa stammende IS-Mitglieder.

Für die Opfer der Terrormiliz wäre nur ein Sondertribunal und die Anklage der Verantwortlichen wegen Völkermordverbrechen ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Eine gänzliche Gerechtigkeit können sie hingegen nicht erwarten; bei Völkermordverbrechen eine schmerzliche Tatsache. Viele Täter werden untertauchen und nie zu ermitteln sein. Die Zahl der Täter ist schlicht zu groß, wie die Erfahrungen mit den Nazis und anderen Völkermordverbrechern zeigen. Zu schwerwiegend sind die Taten, für die kein adäquates Mittel der Gerechtigkeit existiert. Auch die Todesstrafe bringt die Opfer weder zurück ins Leben, noch kann sie das erlittene Trauma der Überlebenden rückgängig machen.