Debatte in Lehrte mit HPŞ-Oberkommandeur Heydar Shesho
Debatte in Lehrte mit HPŞ-Oberkommandeur Heydar Shesho

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[L]ehrte. Im Rahmen einer Debatte über die Zukunft Shingals mit dem Oberkommandeur der Verteidigungseinheit Shingals (HPŞ), Heydar Shesho, forderte der HPŞ-Kommandeur eine Selbstverwaltung Shingals. Die Region Shingal „müsse eine eigene Provinz werden“, erklärte Shesho. Der Völkermord an den Êzîden durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) konnte nur stattfinden, weil weder die kurdische noch die irakische Regierung sich ernsthaft für den Schutz der Êzîden verpflichtet gefühlt haben.

Eröffnet wurde die Diskussionsrunde, an der auch unter anderem der êzîdîsche Philosoph und Publizist Hosheng Broka, der Politiker Dr. Mîrza Dinnayî sowie Dr. Alî Khalaf teilnahmen, mit einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers. Oberkommandeur Shesho dankte der Weltgemeinschaft für ihre Hilfe. Insbesondere die êzîdîschen Frauen haben mit ihrem unermüdlichen Einsatz die Weltöffentlichkeit über das Massaker in Shingal in Kenntnis gesetzt, so Shesho weiter. „Ich war gerührt von den Bildern der älteren Damen und jungen Frauen, die auf die Straßen gegangen sind, um gegen das Massaker zu protestieren“, erklärt Shesho. Seinen besonderer Dank richtete Shesho an Frau Vian Dakhil, die sich als Parlamentsabgeordnete und auch darüber hinaus für die Êzîden einsetzte sowie dem êzîdîschen Politiker und Aktivisten Dr. Mîrza Dinnayi.

Oberkommandeur der HPŞ Heydar Sheso
Oberkommandeur der HPŞ Heydar Sheso

Die Flagge der Verteidigungseinheit Shingals stelle kein politisches Symbol dar, sondern symbolisiert den Widerstandskampf der Êzîden. Die Widerstandseinheit wurde im Zuge der Übergriffe der IS-Terrormiliz auf Êzîden in Shingal von Kasim Shesho gegründet und diene zur Verteidigung der Êzîden, da die kurdische und die irakische Regierung nicht in der Lage waren, die Êzîden zu schützen oder den Genozid zu verhindern. Daher „akzeptiere“ man auch keine fremden Armee mehr in Shingal, erklärte Shesho. Die Verteidigungseinheit Shingals soll die zukünftige Sicherheit der Êzîden in Shingal garantieren, deren Gründung von Beginn an diese Intention verfolgt.

Auch sollten all die Kommandeure und Kämpfer der Widerstandseinheit Shingals nicht vergessen werden, die in Shingal ihr Leben gelassen und weiterhin für die Freiheit der Menschen dort kämpfen. Zahlreiche Kommandeure nannte Shesho namentlich, denen er seine tiefe Anerkennung mitteilte.

Mit der Selbstständigkeit von Shingal als Provinz, soll den Êzîden ermöglicht werden, sich selbst nach außen zu vertreten und ihre eigenen Interessen darzulegen. Heydar Shesho kündigte zudem an, die Verantwortlichen für den Genozid in Shingal vor den ordentlichen Gerichten der Autonomen Region Kurdistans in Duhok zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Sollte die kurdische Justiz der Klage nicht nachkommen oder die Klage scheitern, werde man sich erst an das Oberste Gericht des irakischen Zentralstaates und anschließend auch an internationale Strafgerichte wenden. „Ich werde solange kämpfen, bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen sind“, erklärt Shesho.

Am 3. August flüchteten die zur Verteidigung der Êzîden in Shingal stationierten rund 10.000 Peshmerga der Autonomen Region Kurdistans noch vor der zivilen Bevölkerung und ermöglichten es so der Terrormiliz IS ein Massaker zu verüben. Bis heute wurde, trotz angeblicher Bestrafungen, keiner der leitenden Peshmerga-Kommandeure in einem öffentlichen, gerichtlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen.

Wappen der Verteidigungseinheit Shingal (HPŞ)
Wappen der Verteidigungseinheit Shingal (HPŞ)

Die Institutionen der kurdischen und irakischen Regierung müssen sich zudem mehr für den Schutz von Minderheiten einsetzen und Minderheitsrechte schützen bzw. umsetzen. Der innere Frieden im Land sowie die Freiheit, Toleranz und Solidarität zwischen den Volksgruppen im Irak und Kurdistan, können nur dadurch sichergestellt werden. Oberkommandeur Shesho ruft zudem alle politischen Akteure der kurdischen wie irakischen Regierung zu einem offenen Dialog auf, um Eziden und alle weiteren Minderheitsgruppen ausreichend Schutz gewährleisten zu können.

Heydar Shesho ist ehemaliger irakischer Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Zentralkomitees der Nationalen Union Kurdistans. Eine Woche vor dem Ansturm der IS-Terroristen wies Oberkommandeur Shesho auf die Gefahr für die Region Shingal hin, nachdem tausende Christen aus Mosul vertrieben und êzîdîsche Ortschaften an den Grenzen der Region Shingal immer wieder angegriffen wurden. Weitere Verantwortliche der Êzîden, wie etwa Salim Al-Rashidani, erkannten die “Gleichgültigkeit der kurdischen Peshmerga-Armee hinsichtlich der bedrohlichen Situation der Eziden” ebenfalls wenige Tage vor dem Ansturm der IS-Terroristen auf Shingal, wie er in einem Interview mit AraNews am 28. Juli mitteilte. Einen Tag zuvor, am 27. Juli 2014, drohte der IS öffentlich damit, die Region Shingal angreifen zu wollen. Verantwortliche Peshmerga-Kommandeure hätten auf diese Drohungen jedoch nicht reagiert und ihre Pflicht vernachlässigt. Die Êzîden sahen daher die Notwendigkeit, eine êzîdîsche Bürgerwehr aufzubauen, um “ihre Heimat zu verteidigen”, warnte Oberkommandeur Heydar Shesho im selben Interview mit AraNews.

© ÊzîdîPress, 05. Januar 2015 / Kasim Shesho Ezidi e.V.