Salim2
Vater getötet, Mutter entführt: Salim versucht seine Mutter freizubekommen (IEW)


Sharya. Nordirak, unweit der kurdischen Stadt Duhok. Rund 18.400 Flüchtlinge aus Shingal haben in dem Lager Zuflucht gefunden. Unter ihnen sind vor allem Kinder, Minderjährige, die in Shingal bereits den Großteil der Bevölkerung ausmachten. Die Kinder tollen im und auf den Straßen vor dem Lager herum, durchqueren die improvisierten Obst- und Gemüsestände, die Flüchtlinge am Straßenrand errichtet haben.

Salim am Straßenrand des Sharya-Flüchtlingslagers (IEW)
Salim am Straßenrand des Sharya-Flüchtlingslagers (IEW)

Auch Salim, ein Junge im Alter von etwa zwölf Jahren, steht unter der brütenden Sonne am staubigen Straßenrand von Sharya. Anders als die meisten Kinder in seinem Alter spielt er jedoch nicht, sondern hält mit strenger, erwachsener Mine vorbeiziehende Fremde und Fahrzeuge an. Êzîdîsche Aktivisten sprechen den Jungen an.

Salim ist Halbwaise und sichtlich traumatisiert. Sein Vater wurde am 3. August 2014 von Terroristen des „Islamischen Staat“ (IS) getötet, als diese das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden Shingal im Nordirak überfielen und einen Völkermord an der wehrlosen Zivilbevölkerung verübten. Seine Mutter wird wie tausende weitere êzîdîsche Frauen und Mädchen entführt und in die Sklaverei der Terrormiliz gezwungen. Seit über zehn Monaten befindet sie sich in der Gefangenschaft des „Kalifats“.

Salim selbst entkommt mit seinen zwei jüngeren Geschwistern, einem kleinen Bruder und einer kleinen Schwester, aus Shingal. Zusammen mit ihrem Onkel leben die Halbwaisen unter widrigsten Umständen im Flüchtlingslager. Die Sehnsucht nach der Mutter ist groß. In den Straßen von Sharya fragt Salim deshalb nach 5.500 US-Dollar. „Das ist das Lösegeld, das die Schmuggler verlangen“, erklärt Salims Onkel dem ÊP-Korrespondenten Nayf S.

Geld, was weder Salim noch sein Onkel haben. „Fast jeden Tag stellt er sich an den Straßenrand, fragt nach Geld. Sein Vater, mein Bruder, ist tot. Die Sehnsucht aber tötet jeden Tag ein Stück mehr von Salim. Er ist alt genug um zu verstehen, was geschehen ist“, erklärt Salims Onkel weiter. „Ich kümmere mich um die Geschwister, aber die Liebe einer Mutter kann ich nicht ersetzen. Er steht an der Straße, weil er sie vermisst und noch alles ist, was er neben seinen Geschwistern besitzt“.

Salims Schicksal ist kein Einzelfall. Unzählige Kinder haben die Terrorschergen des IS zu Voll- oder Halbwaisen gemacht. Mütter und Schwestern entführt, die täglich systematischer, sexueller Gewalt ausgesetzt sind und als gebrochene Frauen zurückkommen. Wenn sie das Glück haben, überhaupt irgendwie freizukommen.

© ÊzîdîPress, 15. Juni 2015