8Dr.-Eskerê-BoyikVon Dr. Eskerê Boyîk
Dr. Boyîk ist einer der bekanntesten kurdischen Schriftsteller und Dichter der Gegenwart. In Armenien geboren, studierte Dr. Boyîk an der staatlichen Universität von Jerewan und schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaft mit Promotion ab. Seit Jahrzehnten schreibt Dr. Boyîk über kurdische Kultur, Geschichte und Gegenwart und publizierte über 20 Bücher.

Wenn die Kurden für ihre Zukunft eine Einheit bilden und zusammenfinden wollen, müssen sie zunächst die Religionsbrille ablegen, in den Geschichtsbüchern nachschlagen und ihren Kindern und Nachkommen das Resümee ihrer Vorfahren aufzeigen und verdeutlichen.

Ebussuud al-Imadi (Ebû Siêrd El Îmadî), geboren 1472, war kurdischer Herkunft und hieß mit bürgerlichen Namen Ahmad, er wurde 86 Jahre alt. Er war der Sohn von Mustafa, der aus Amediye war. Im osmanischen Reich erreichte er eine hohe Stellung und wurde zum Großmufti vom osmanischen Sultan Süleyman al-Qanuni (Süleyman I.), anschließend auch zum Mufti von Qanunis Nachfolger Selim II. Seinerzeit war al-Imadi ebenfalls auch als Dichter und Künstler bekannt. Jeder Mensch bleibt durch seine Taten in Erinnerung. Aufrichtige Tätigkeit wird mit Barmherzigkeit und Anmut erwähnt, verachtenswerte Taten mit Fluch und Verdammung ermahnt. Meine Zustimmung gilt jenen, die durch ihre herzlichen Taten in Erinnerung geblieben sind.

Es sind zahlreiche Fatwas gegen die Êzîden in der Geschichte bekannt. Jene Fatwas führten zu zahllosen Genoziden gegen die Êzîden. Für die Muslime wurde das Töten der Êzîden mit islamischem Recht legitimiert.

In der Fatwa von al-Imadi heißt es: „Wer sie (die Êzîdî) tötet ist ein Held, wer durch sie getötet wird, wird zum Märtyrer (wird also direkt ins Paradies gelangen). Der Kampf gegen sie ist der Dschihad. Der größte Dschihad ist der gegen sie und ein ehrenvolles Glaubensbekenntnis, weil sie (die Êzîdî) ungläubiger als die Ungläubigsten sind. Sie zu töten ist nach allen vier Glaubensgrundsätzen (Henefî, Qadirî, Shefehî, Hembelî) legitim. Der Dschihad gegen sie ist nach jeder Form und Art der Rechtsschule ein Verdienst. Sie zu spalten, zu zerstreuen und ihre Führer zu töten, gehören zu den Pflichten des Glaubens (Religiöse Pflichten). Gegenwärtig müssen Richter und religiösen Führer (des Osmanischen Reiches) dem Volk die Erlaubnis hierzu erteilen und ihnen dabei behilflich sein, gegen sie (die Êzîdî) zu kämpfen. Möge Gott ihre Wohltaten anerkennen und ihnen behilflich sein.“

„Sie haben das Recht ihre Männer (der Êzîdî) zu töten, ihre Frauen und Töchter zu versklaven und auch auf den muslimischen Bazaren als ungläubige Sklaven zu verkaufen.
Außerdem haben sie auch das Recht ihre Töchter und Frauen für sich zu nehmen…“

Dies ist nur ein kurzer Abschnitt aus dem Beschluss zum Massaker an den êzîdischen Kurden durch die Hand eines kurdischen Mufti, eines „Gottesfürchtigen“.

Ich bin mir nicht sicher, ob denn dieser „Große Weise“, dieser „Gottesfürchtige“ und „Gläubige“ überhaupt selbst an seine eigene Religion geglaubt hat? Schwer vorstellbar! Was ist dies für eine Gottesfurcht, wenn das Blut Unschuldiger vergossen wird, wenn Kinder ermordet werden und der einzige Grund dieser Vernichtung, Vertreibung, Ausplünderung und Versklavung darin liegt, dass diese Menschen einen anderen Glauben haben als man selbst…

Seht, der Mufti ist sogar zum Poet geworden! Ein Dichter. Es ist bekannt, dass Dichter die Herren der Herzen sind und mit den schönsten und feinsten Gefühlen hantieren können. Diese Fatwa beinhaltet jedoch nichts von Gottesfurcht, Glauben und Recht in sich. Es ist die Fortführung eines uralten Ziels, welches vor Jahrhunderten (zu Zeiten der Angriffe durch arabische Kalifen) durch die Besatzer Kurdistans entwickelt wurde. Sie machten es sich zur Hauptziel, durch die Instrumentalisierung der Religion (da sie es durch das Schwert nicht erreichen konnten) das kurdische Volk zu teilen, sie von ihrem uralten Fundament zu trennen, ihren Zusammenhalt zu brechen und ihnen dadurch ihre Würde zu nehmen. Ihre Sprache sollte mit der Zeit in Vergessenheit geraten und durch ihre eigenen Leute, sollten die Kurden von der Bildfläche verschwinden, indem sie unter den Besatzervölkern aufgehen sollten (so wie sie es auch mit vielen anderen Völkern so vollzogen haben).

Diese Fatwa ist nicht von den einfachen Mufti oder einer einzelnen Personen, genauso wenig ein religiöser Gedankenausfluss einer blinden Religion, es ist ein Entschluss des Osmanischen Reiches, der mit Hilfe der obersten Mufti dieses Landes, der selbst Kurde war, beschlossen wurde.

Ich denke, dass diese Fatwa eine der ersten war, welche für zahlreiche Genozide und Massaker an den Eziden verantwortlich war. Auch nach dieser Fatwa haben zahlreiche kurdische Gelehrte Fatwas ausgesprochen, welche zu weiteren Massakern an den Êzîden führten.

Und das erschrecklich seltsame daran? Massaker an Kurden wurden durch die Hände anderer Kurden vollzogen! Eine Ungerechtigkeit, die keinen Platz in einem gesunden Menschenverstand findet.

Nach den Fatwas wurde Kurdistan zu einem Ort des Blutvergießens. Die Kurden haben für ihre „Jenseits-Vorstellung“, dem Wunsch in Paradies zu kommen, die Welt zur Hölle gemacht. Brüder wurden zu Feinden. Das Leben haben sie verdorben, das Morden und die Plünderei haben sie wiederrum für heilig erklärt. Die Êzîden und Muslime, welche als Brüder gemeinsam lebten, stießen sich nun gegenseitig Schwerter in den Rumpf. Die alte Tradition und Kultur der Nation wurde als „haram“ (sündhaft und verdorben) diffamiert; Heiligenstätte und alte Denkmäler wurden in Trümmern gelegt; Bücher und Schriften wurden verbrannt. Selbst Gräber haben sie geplündert und geschändet.

Es gab somit Aspekte, die sie nicht verstehen konnten. So konnten sie nicht die Sprache der „Aufgeweckten und Schlafenden“ lernen und verstehen.

So sehr sie auch versuchen mit ihren Gebeten in neuen Sprachen die kurdische Sprache zu verdrängen, so haben sie es dennoch nicht geschafft. Die kurdische Sprache ist eine derart schöne Sprache, dass sie ihren Platz niemals für Fremde aufgegeben hat.

êzîdîPress, 28. Aug. 2014
Vom Kurdischen ins Deutsche übersetzt von ÊzîdîPress