Fakir Pîr Alî (Rüdeger Baumann, 2008)
Fakir Pîr Alî (Rüdeger Baumann, 2008)

Celle. Der êzîdîsche Würdenträger Fakir Pir Ali ist gestorben. Im Alter von 87 Jahren verstarb der êzîdîsche Geistliche am Samstag in der Stadt Celle. Jahrzehntelang begleitete und betreute der êzîdîsche Geistliche besonders die in Deutschland lebende êzîdîsche Gemeinde. Er galt als herausragender Würdenträger und Experte der êzîdîschen Lehre.

Fakir Pir Ali wurde im Jahr 1930 als Pîr Elî Pîr Piçî Pîr Ûsif Pîrê Omerxala in dem êzîdîschen Dorf Hamdun (türk. Kurukayak) im Bezirk Batman geboren. Er folgte dem Beispiel seines Vaters Pîr Piçi und wurde von diesem bereits in der Kindheit religiös ausgebildet. Sein Vater erwarb, neben der erblichen Pîr-Würde, den Rang eines Fakirs, der höchsten êzîdîschen Würde, die er an seinen Sohn weitergab. In seiner Jugend wurde Fakir Pir Ali von bedeutenden weiteren Fakire in êzîdîscher Theologie unterrichtet. Fakir Pir Ali galt daher als besonders guter Kenner der êzîdîschen Lehre, der sowohl mit den Gebeten, den êzîdîschen Riten als auch mit den mündlichen Überlieferungen bestens vertraut war. Über 200 Gebetssänge konnte Fakir Pir Ali zu Lebzeiten rezitieren, dazu Dutzende Erzählungen. Die êzîdîschen Dörfer in der Südosttürkei betreute er jahrelang in seiner Funktion als Fakir. Das machte ihn in der Türkei wiederholt zum Ziel religiöser Fanatiker.

Anfang der 90er Jahre emigrierte die Familie von Fakir Pir Ali wie fast alle Êzîden aus der Türkei nach Deutschland. In Deutschland war er bis zu seinem Tod einer der wenigen êzîdîschen Würdenträger, die sich aktiv um die Betreuung der êzîdîschen Gemeinden bemühten. Als Seelsorger und Mediator war er bundesweit innerhalb der Êzîden tätig. Er warb bereits früh für die Eröffnung êzîdîscher Vereine und begleitete die Gründungen der ersten Vereinshäuser von Beginn an. Unzählige religiöse Feiertage eröffnete Fakir Pir Ali mit Gebeten und religösen Erzählungen und mahnte die Êzîden in Deutschland zur Einheit und Solidarität. In religiösen aber auch gesellschaftlichen Fragen war Fakir Pir Ali eine der ersten Anlaufstellen der Êzîden in Deutschland.

Fakir Pir Alis Wissen der êzîdîschen Religion und Bräuche wurde unter anderem auch zur Verschriftlichung der bis dahin mündlich tradierten Gebete, Erzählungen, Legenden und Sagen genutzt. Er stand im Austausch mit religiösen Würdenträgern im Zentralheiligtum Lalish im Nordirak und sorgte sich ebenso um die dortige Gemeinschaft. Seine verwandschaftlichen Beziehungen führten ihn wiederholt auch in die postsowjetischen Gebiete, in denen bis heute große êzîdîsche Gemeinden leben.

Die in Deutschland erstmals in Schriftform im Jahr 1994 veröffentlichten êzîdîschen Morgen- und Abendgebete wurden von Fakir Pîr Alî diktiert und vom Dengê Êzîdiyan Verlag aus Oldenburg publiziert. Von den Êzîden wurde er deswegen auch als „lebendige Bibliothek“ bezeichnet. Dieselben Gebete werden noch heute zur Unterrichtung êzîdîscher Kinder genutzt.

Für die êzîdîsche Gemeinschaft ist der Tod Fakir Pir Ali ein herber Verlust. Mit ihm geht nicht nur ein êzîdîscher Würdenträger, sondern eine auch als Mensch hochgeschätzte Persönlichkeit, der sein gesamtes Leben dem Kollektiv widmete. Ein Mann, der als mahnende aber auch zugleich als fürsorgliche Stimme den in der Diaspora lebenden Êzîden den Weg in die Zukunft aufzeigte und ebnete. Sein Wissen bildete für die junge Generation der Êzîden in Deutschland eine Brücke zu ihrer alten Heimat und Religion. Auch deshalb wird sein Erbe noch weitere Jahrzehnte überdauern.

© ÊzîdîPress, 26. März 2017