Über 200 Gefangene der Terrormiliz IS konnte S. Dinayi bisher befreien: So wie diese Kinder auf dem Foto
Über 200 Gefangene der Terrormiliz IS konnte S. Dinayi bisher befreien: So wie diese Kinder auf dem Foto


Tausende êzîdîsche Frauen, Kinder und Mädchen sind von Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) im August vergangenen Jahres entführt worden. Mit ihnen wurde die bis dahin nicht mehr praktizierte „islamische Tradition der Sklaverei“ wiedereingeführt, erklärt die Terrormiliz in dem eigenen Propagandamagazin und macht die tausendfache Versklavung êzîdîscher Frauen damit zu einem ihrer „Prestigeprojekte“. Die Frauen und hundertfach minderjährige Mädchen werden zur Sexsklaverei gezwungen, auf Sklavenmärkten zur Schau gestellt und verkauft, êzîdîsche Jungen in militärischen Ausbildungslagern zu neuen Djhidadisten gedrillt. Die UN-Menschenrechtskommission spricht von einem Völkermord.

Aktivisten versuchen möglichst viele dieser Gefangenen aus der Hölle des IS zu befreien. So etwa S. Dinayi, mit dem ÊzîdîPress über seine nicht ungefährliche Tätigkeiten gesprochen hat. Aus Sicherheitsgründen konnten viele Detailfragen nicht beantwortet werden.

ÊzîdîPress: Herr Dinayi, wie viele Frauen, Kinder und Mädchen konnten Sie bisher aus der Gefangenschaft des IS befreien?

Täglich versucht Dinayi weitere Gefangene aus der IS-Hölle zu befreien (privat)
Täglich versucht Dinayi weitere Gefangene aus der IS-Hölle zu befreien (privat)

Dinayi: Bisher über 200, darunter vor allem Kinder und Erwachsene in fast jedem Alter. Erst kürzlich konnte eine Frau mit einem sechs Monate altem Baby befreit werden sowie ein Mädchen im Alter von 17 Jahren. Meistens handelt es sich dabei um Familien, die wir zusammen befreien können.

ÊzîdîPress: Verhandeln Sie direkt mit den IS-Terroristen?

Dinayi: Nein, das ist unmöglich! Sie verhandeln nicht mit uns.

ÊzîdîPress: Wieso nicht?

Dinayi: Weil es für die DAESH-Terroristen [arab. Akronym für ISIS; Anm. d. Red.] „haram“ ist, mit einem Êzîdî zu verhandeln. In ihrer Ideologie ist es streng untersagt, mit einem Êzîdî wie mir Gespräche zu führen. Wir gelten als Ungläubige. Wenn sie mitbekommen, dass man Êzîdî ist, muss man mit dem Schlimmsten rechnen.

ÊzîdîPress: Seit über zehn Monaten befinden sich die Frauen und Kinder in IS-Gefangenschaft. Ist es schwieriger geworden, Wege zu finden, sie freizubekommen?

Dinayi: Alle Befreiungskationen gestalten sich schwierig und sind gefährlich, vor allem dann, wenn man in den von DAESH kontrollierten Gebieten operieren muss. Wir planen lange und versuchen den bestmöglichsten und, wenn möglich, ungefährlichsten Weg zur Befreiung zu gehen.

Fast immer riskiert man dabei Leben, sein eigenes oder das der Gefangenen. Aber anders geht es nicht. Je stärker kontrolliert ein Gebiet ist, umso schwieriger ist auch eine Befreiung. Vor einer Aktion stellt man sich natürlich dutzende Fragen; vor allem, wie man die Gefangenen in ein sicheres Gebiet und anschließend in Sicherheit bringen kann.

ÊzîdîPress: Die Schmuggler verlangen viel Geld, erhalten Sie Unterstützung?

Dinayi: Das Büro des kurdischen Ministerpräsidenten Nechirvan Barzani hat uns bisher Lösegeld bereitgestellt. Seit Februar, seit dem Beginn der Finanzkrise in der Autonomen Region Kurdistan, erhalten wir jedoch kaum noch Geld, um Frauen und Kinder freizukaufen. Die Situation ist schwierig.

ÊzîdîPress: Was wäre nötig, um mehr Frauen und Kinder zu befreien? Was könnten die Êzîden auch in der Diaspora tun?

Aus der IS-Gefangenschaft befreite Kinder und S. Dinayi
Aus der IS-Gefangenschaft befreite Kinder und S. Dinayi

Dinayi: Wir haben es oft erwähnt und mit Politikern, Gelehrten, Vertretern, Intellektuellen und vielen weiteren darüber gesprochen, dass vermehrte Bemühungen notwendig sind, um mehr Frauen und Kinder zu befreien. Über alle möglichen Medien haben wir versucht, darauf aufmerksam zu machen; in Fernsehauftritten, Radiosendungen, Zeitungsberichten usw. Aber es ist, als würden wir ungehört bleiben.

Was wir brauchen, wäre ein gemeinsamer Fonds, aus dem wir benötigte Mittel schöpfen können. Sicherlich, das Büro Nechirvan Barzanis hat uns sehr geholfen, aber wir sind nun in einer schwierigen Zeit, wo uns schlicht das Geld in vielen Fällen fehlt. Hätten wir mehr Mittel, einen solchen Fonds, an dem sich alle möglichen Institutionen, auch die der irakischen Regierung, beteiligen würden, könnten wir wesentlich mehr befreien. Mindestens doppelt so viele wie bisher.

ÊzîdîPress: Ist ihnen eine Befreiung besonders in Erinnerung geblieben?

Dinayi: Jede. Jedes Mal wenn wir Kinder, Ehefrauen, Töchter zurück zu ihren Familien bringen, ist die Freude unendlich groß. Das Glück dieser Familien, in all dieser Tragödie, ist unbeschreiblich. Die Befreiten in den Armen ihrer Familien zu sehen. Auch wir können unsere Tränen in solchen Momenten nicht zurückhalten.

ÊzîdîPress: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit!

Dinayi: Ich danke Ihnen.