Galust Sahakyan, Parlamentspräsident der armenischen Nationalversammlung (
Galust Sahakyan, Parlamentspräsident der armenischen Nationalversammlung (1in)


Jerewan. Dass die Verbrechen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) an der êzîdîschen Zivilbevölkerung in Shingal als Völkermord zu werten sind, bezweifelt heute kaum jemand. Praktisch alle Tatbestände des Völkermordes nach der UN-Konvention haben die IS-Terroristen mit ihren Gräueltaten an den Êzîden verwirklicht. Anders sieht das jedoch – ausgerechnet – der Präsident des armenischen Parlamentes. Nachdem zuvor bereits der rechtskonservative Abgeordnete Gurgen Arsenyan im Parlament für einen Eklat sorgte, legt nun der Parlamentspräsident nach. Im Laufe einer Debatte in der armenischen Nationalversammlung antwortete Galust Sahakyan auf eine Frage der Abgeordnete Naira Zohrabyan: „Ich glaube, dass eine solche Anerkennung des Völkermordes an den Êzîden durch das armenische Parlament weder ihnen (den Êzîden) noch uns weiterhilft“, so Sahakyan. Zudem könne das Parlament einen Völkermord erst anerkennen, wenn dieser von anderen internationalen Staaten als solcher anerkannt werden würde. Zohrabyan wollte wissen, weshalb das Parlament sich weigere, über einen entsprechenden Gesetzesentwurf abzustimmen.

Dabei haben zahlreiche Staaten sowie das EU-Parlament die Verbrechen an den Êzîden längst als Völkermord eingestuft. Seit Monaten blockieren nationalkonservative Abgeordnete wie Sahakyan und Arsenyan den von Zohrabyan eingebrachten Gesetzesentwurf, der die Verbrechen des IS an den Êzîden offiziell als Völkermord anerkennen soll. Dass ausgerechnet Armenien das Land ist, das einen offensichtlichen Völkermord aus nicht nachvollziehbaren Gründen als solchen nicht anerkennen wolle, kritisiert unter anderem der Vorsitzende der êzîdîschen Jugendorganisation „Shingal“ Boris Murazi aus Armenien. In einem offenen Brief wirft Murazi dem Parlamentspräsidenten Realitätsverweigerung vor. Sahakyan und das armenische Parlament legten vor dem Hintergrund des Armeniergenozids eine Doppelmoral an den Tag, wie sie sonst von der Türkei praktiziert werde, so Murazi. Damit unterstütze Sahakyan den Tenor der türkischen Politik, die den Völkermord an den Armenien bis heute mit derselben Argumentation leugne und – wenn überhaupt – lediglich von „Massakern“ spreche. So hatten etwa mehrere armenische Abgeordnete zuvor verlangt, dass Wort „Völkermord“ aus dem Gesetzesentwurf zu streichen.

In der zunehmend nationalistisch werdenden armenischen Politik geraten die Êzîden vermehrt in den Fokus rechtskonservativer Politiker. Und das trotz der engen armenisch-êzîdîschen Leidensgeschichte, aus der eine tiefe Freundschaft hervorgegangen ist. Die Êzîden müssen wohl oder übel lernen, dass Nationalismus, egal wo auf der Welt, schon immer die Schere war, mit der das Band der Freundschaft zwischen den Völkern durchtrennt wurde. Wenn die armenische Politik sich öffentlich, ohne Not und ohne Scham auf das Niveau der türkischen Politik begibt und praktisch dessen Argumentation zur Leugnung eines Völkermordes übernimmt, dann sollten überall die Alarmglocken läuten. Eine Freundschaft basiert auf gegenseitigem Respekt und Loyalität. Und an beidem mangelt es der armenischen Elite derzeit gegenüber den Êzîden, die nicht selten in der dunkelsten Stunde der armenischen Geschichte ihr Leben für unschuldige Armenier gaben.

Video der Parlamentsdebatte:

© ÊzîdîPress, 28. Februar 2017