Afrin. Das türkische Militär hat seine Offensive gegen die kurdische Region Afrin in Syrien mit unverminderter Härte fortgesetzt und dabei zahlreiche êzîdîsche Dörfer besetzt. In den vergangenen Tagen fielen die nördlich von Afrin gelegenen Dörfer der Êzîden unter die Kontrolle von Islamisten und türkischem Militär. Heute eroberten die islamistischen Söldner mithilfe türkischer Luftunterstützung schließlich das êzîdîsche Dorf Basufan im Süden.

Basufan galt als eines der letzten nur von Êzîden bewohnten Dörfern in Syrien. Jahrelang wurde es von radikal-islamistischen Milizen der Al-Nusra und Ahrar Al-Sham attackiert. Teile derselben Milizen haben nun ausgerechnet mithilfe eines NATO-Bündnispartners das Dorf schließlich doch einnehmen können.

Mit der Eroberung êzîdîscher Dörfer in Afrin zerstört die Türkei damit die letzte in Syrien zusammenhängende Gemeinschaft der Êzîden – und wiederholt die einstige Verfolgungsgeschichte. Die Dörfer Qastel Jindo, Baflun, Shirkan, Qatma und Qibar wurden hauptsächlich von Êzîden bewohnt, die dem Stamm der Reshkan angehören, die Anfang des 20. Jahrhunderts bereits vor Verfolgung durch Türken/Osmanen nach Syrien flüchten mussten. In Basufan lebten mehrheitlich Angehörige des Khalti-Stammes, die ebenfalls ursprünglich aus der Türkei stammen und aus ihren Gebieten Anfang des 20. Jahrhunderts vertrieben wurden. In der Vergangenheit bot Basufan verfolgten Christen und Juden aus Aleppo immer wieder Schutz.

Nachdem die Mehrheit der Êzîden vor dem seit 2011 anhaltenden Krieg in Syrien nach Europa geflüchtet ist, bildeten die Êzîden in Afrin die letzten Gemeinden. Und erneut müssen die Êzîden vor türkischen Soldaten fliehen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit ist den Êzîden bewusst, dass dies den Verlust ihrer Heimatdörfer bedeutet. Eine spätere Rückkehr scheint bereits jetzt unmöglich. Es ist unwahrscheinlich, dass die islamistischen Milizen die Kontrolle auch nach Beendigung des Konfliktes an die Êzîden übergeben, sollte sich die internationale Staatengemeinschaft nicht einmischen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass arabische Familien in der Region angesiedelt werden. So wie das Baath-Regime es einst tat.

Zudem droht die Zerstörung heiliger Stätten der êzîdîschen Minderheit. In dem Dorf Qibare etwa, das von islamistischen Söldner der Türkei kontrolliert wird, befinden sich drei größere Pilgerstätten, deren Verbleib bisher ungeklärt ist. Nahe Basufan, das ebenfalls über eine êzîdîsche Pilgerstätte verfügt, liegt das weltweit bekannte Kloster Deir Seman (Saint Simon Citadel), das nun ebenfalls bedroht ist.

Neben der Türkei droht nun auch Syrien praktisch Êzîden-frei zu werden. Die Êzîden würden damit eine zweite Heimatregion verlieren. Und auch im Irak droht eine ähnliche Entwicklung. Seit dem Völkermord in Shingal haben bereits über 200.000 Êzîden das Land verlassen. Derzeit deutet alles daraufhin, dass die Êzîden ihre Heimat im Nahen Osten vollständig verlieren werden.

© ÊzîdîPress, 12. März 2018